D i e   V a r ä g e r
von Michael Pflanz


 
Inhaltsangabe
Asenreich am Don
Goten und Ostlandfahrer
Rurik
Fernhandel
Helgi 879 - 912
Ingvarr 912 - 945
Svjatoslav 946 - 973
Waldemar 972 (980) - 1015
Götter zu Känugard
Varägergarde 989 - 1453
Schrifttum

 

 

Asenreich am Don

Die Heimskringla von Snorri Sturluson,

   Varägersiedlung mit Hafen und Schiffen
   Varägersiedlung
   mit Hafen und Schiffen
1220 bis 1230 zu christlicher Zeit in Reykjaholt aufgezeichnet, berichtet von der Heimat asentreuen Heidentumes. Die alten Mythen mußten, um überhaupt niedergeschrieben zu werden, in die Geschichte vom Reiterfürsten Odainatus gefaßt werden.

»Aber nördlich vom Schwarzen Meer erstreckt sich Großschweden oder Kaltschweden... Aus dem äußersten Norden aber, von den Bergen, die jenseits jedes bewohnten Landes liegen, ergießt sich ein Strom über Schweden hin, dessen rechter Name Tanais ist. Vordem aber nannte man ihn Tanakvisl oder auch Vanen-Kvisl (Kvisl altnord.=Flußarm). Der strömt zum Ozean durch das Schwarze Meer. Das Land zwischen den Donmündungen nannte man Vanenland oder Vanenheim. Dieser Strom trennt die beiden Erdteile: der östliche heißt Asien, der westliche Europa.

Das Land in Asien östlich vom Tanakvisl nannte man Asenland oder Asenheim, und die Hauptstadt des Landes hieß Asgarðr. In der Burg aber lebte ein Häuptling namens Oðinn. Dort war eine große Opferstätte. Es war dort Brauch, daß 12 Tempelpriester als oberste „Goden” galten. Sie hatten die Opfer zu leiten und unter den Männern Recht zu sprechen. Man nannte sie „Diar” oder „Drottnar”. Denen mußte alles Volk Dienste und Verehrung erweisen. Oðinn war ein großer Kriegsmann und wanderte weit umher. Ihm wurden viele Reiche untertan. Er war so siegreich, daß er in jedem Kampfe die Oberhand gewann. Daher kam es, daß die Menschen glaubten, er müsse seiner Natur nach in jeder Schlacht den Sieg gewinnen. Es war seine Gewohnheit, wenn er seine Mannen zum Kampf oder zu einer anderen Fahrt aussandte, ihnen vorher die Hände aufs Haupt zu legen und seinen Segen zu erteilen. Sie meinten dann eine glückliche Fahrt zu haben. So war es auch bei seinen Leuten üblich, wenn sie auf See oder zu Lande in Not waren, seinen Namen anzurufen. Sie glaubten stets dadurch Rettung zu finden, denn dort, wo er war, meinten sie, läge auch alle ihre Hilfe... Oðinn machte Njörðr und Freyr zu Tempelpriestern, und sie wurden „Diar” unter dem Volke der Asen. Die Tochter des Njörðr hieß Freyja. Sie war Tempelpriesterin. Sie lehrte zuerst den Asen den Zauber, wie er bei den Vanen üblich war... Ein hoher Bergwall zieht sich von Nordosten nach Südwesten, der Großschweden von andern Reichen scheidet. Südlich des Gebirges ist es nicht weit bis zum Türkenlande (Seldschukenreich in Kleinasien seit 1073). Dort hatte Oðinn große Besitzungen. In jener Zeit zogen die Römerhäuptlinge weit in der Welt umher und unterwarfen sich alle Völker.Viele Häuptlinge aber flüchteten vor diesen Kriegsunruhen von ihren Besitzungen. Da aber Oðinn zukunfts- und zauberkundig war, wußte er, daß seine Nachkommen im nördlichen Teil der Erde herrschen würden. Da setzte er seine Brüder Vili und Vé über Asgarðr, und er zog fort mit allen Diar und vielem andern Männervolk. Zuerst zog er westwärts nach Rußland und dann südwärts nach Sachsenland. Er hatte viele Söhne. Er eroberte Reiche weithin im Sachsenland und setzte dort seine Söhne zum Schutz der Länder ein. Dann zog er nordwärts zur See und nahm seinen Wohnsitz auf einer Insel. Der Ort heißt jetzt Odensee auf Fünen... Oðinn und Gylfi trieben miteinander viel Spuk- und Zauberkünste, doch behielten die Asen darin immer die Oberhand...«

Auch die Historia Danica des Saxo Grammaticus, 1202 - 1216 aufgeschrieben, berichtet von einem Othin, der sowohl in Upsala als auch in Byzanz König gewesen wäre. In diesen Büchern werden mehrfach die Russen und einige sagenhafte Anführer genannt.

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Goten und Ostlandfahrer

Schon Isidor und Jordanis berichten vom Gotenreich am Pontos, später folgten Kriegsfahrten schwedischer Vikinger an der baltischen Küste. Die Ynglinga-Saga berichtet darüber. Befestigte Land- und Wasserburgen stellten die Stützpunkte dieser Händler und Krieger, die bei den Finnen, später bei den Byzantinern, Griechen und Arabern unter dem Namen „Ros”, aus dem „Russen” wurde, bekannt waren. Finnisch „Ruotsi”, estnisch „Rots”, livländisch „Ruotsi” leitet sich wahrscheinlich von Rothsmäen, Rothskarlar, d.h. Rudermannen, ab. Runensteine der Zeit um 800 aus Södermannland und Gotland bezeugen die Ostlandfahrten:

»Sigrid errichtete diesen Stein zum Andenken an ihren Mann Svein. Er segelte oft nach Semgallen (Kurland) mit kostbarem Kaufschiff und nach Domesnäs (Kap am Rigaischen Meerbusen).«

»Sumur hieb diese Runen zum Andenken an Svein, der im Osten an der Mündung der Düna gefallen ist.«

Landkarte um das Jahre 325
Landkarte um das Jahre 325

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Rurik

Bodenfunde in Rußland zeigen, daß bereits im 8. Jh. schwedische Vikinger ins Baltikum kamen und in der ersten Hälfte des 9. Jh. ausgedehnte Siedlungen am Ladogasee errichtet haben. Die älteste Gründung ist die Aldeigjuborg an der Mündung des Wolchow in den Ladogasee, den die Varäger Aldeigja (Woger) nannten. Die Ruinen zeugen noch heute von dieser Gründung. Rußland selbst nannten die Varäger Gardariki, i Gardum (Burgenreich, nach den zahlreichen befestigten Stützpunkten) oder Ostrogard (Ostland). Die entscheidende Wende zur Begründung einer wirklichen Herrschaft der schwedischen Vikinger über die finnisch-ostgermanischen Völker ist mit einer überragenden Persönlichkeit, Rurik, verbunden. Er faßte die vielen kleinen Varäger-Stützpunkte im Quellgebiet der großen russischen Ströme zu einer politischen Einheit zusammen, die dann zur Bildung des Russischen Reiches führte. Im Frühjahr 862 brach Rurik mit über 1000 Schiffen und Booten nach Osten auf. Von Vineta aus hatte der Seekönig die Auswanderung vorbereitet. In seinem Gefolge befanden sich Germanen aller Stämme, die sämtlich Heiden waren und den alten Göttern anhingen. Im Frankenreich herrschte König Ludwig der Deutsche, im Norden Olaf, die beide die christliche Mission vorantrieben, besonders tat sich auch der Bischof Ansgar dabei hervor. So schlossen sich der Flotte u. a. auch Sachsen und andere Südgermanen an. In diesem gemeinsamen Aufbruch verschiedener Stammesangehörige mit einem anderen Ziel als bei den üblichen Vikingfahrten findet sich auch die Ursache des Namens Varäger, d.h. Eidgenossen (im Namen der Göttin Var). Späterhin leitete man alle Herrschaftsberechtigung in russischen Landen aus der Abkunft von Rurik ab.

Die Nestorchronik führt uns in diese Zeit zurück. Kirchenslawisch als „Povesti” oder „Povest'vremennych let”, deutsch „Erzählungen” oder „Erzählung von den vergangenen Jahren” überschrieben, wurde sie um 1110 bis 1116, am Anfang der Regierungszeit Volodimer Monomachs, als er nach Svjatopolks Tod im Ostermond 1113 Kiewer Großfürst war, aufgezeichnet. Der Schluß vermerkt im Jahr 1116 von Silvester, Igumen des Michaelklosters auf Vydobyci, daß er diese Chronik, geschrieben habe. Es gilt jedoch als sicher, daß nicht Silvester in Kiew, sondern ein Mönch im Höhlenkloster zu Kiew die Chronik verfaßte und Silvester lediglich eine Kopie anfertigte. Wahrscheinlich war dieser Mönch Nestor. An einigen Stellen nennen sich auch andere Erzähler in der Ichform. Im Text ändern sich mehrfach die Stilarten, kleine Erzählungen sind eingewoben, einige Angaben widersprechen sich, u.a. wird 907 eine Stadt Perejaslavl genannt, die erst später 993 von Volodimer gegründet wird. Die Texte sind von der bulgarisch-kirchenslawischen Stilistik, aber auch von der Art byzantinischer Annalistik, u.a. in der Art leerer Jahreszahlen, geprägt. Neben die Vielfalt der verwendeten Quellen tritt heute auch die Vielfalt der Überlieferung dieser Chronik mit teilweise widersprechenden, sich aber auch ergänzenden Angaben. Als Handschriften gibt es die Laurentioschronik aus dem Jahre 1377, die Radziwillchronik (Königsberger Chronik) vom Ende des 15. Jh., die Akademische Chronik des 15. Jh. (Moskau), die Hypatioschronik von 1425 aus dem Hypatioskloster in Kostroma und die Chlebnikovchronik aus dem 16. Jh. aus Kolomna, sämtlich heute in der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg.

In der folgenden deutschen Übertragung der Laurentioschronik sind an die Stelle der im Original stehenden kirchlichen Jahreszahlen, z.B. 6360 für 852 durchgehend die heute üblichen Jahreszahlen gesetzt, notwendige Berichtigungen stehen in Klammern. Die Schreibweise der Namen wurde bei Orten der heutigen (z.B. statt Car'grad=Kaiserstadt, Byzanz) bzw. manchmal der nordischen (Aldeigjuborg statt Ladoga, Holmgard statt Nowgorod, Känugard statt Kiew und Miklagard statt Byzanz), bei Personennamen der dem nordischen Original entsprechenden angepaßt, so steht statt Rjurik (altnord. Hrorekr) Rurik, statt Sineus (altnord. Sikniutr) Signut, statt Truvor (altnord. Dorvardr) Thorward, statt Oleg Helgi und statt Igor Ingvarr.

Landkarte um das Jahre 325
Landkarte um die Jahre 859/82

 

»Im Jahre 852 als Michael (byzantinisch-griechischer Kaiser) zu herrschen anfing, begann das Land Russisches Land zu heißen. Davon haben wir Kenntnis erlangt, daß unter diesem Kaiser die Russen gegen Miklagard (Großhof) zogen, wie in der griechischen Chronik geschrieben steht. Darum fangen wir von hier an die Jahreszahlen zu setzen.« In Wirklichkeit erfolgte die Thronbesteigung Michaels im Jahre 860, daher ist die Benennung als Rußland in direktem Zusammenhang mit den weiteren Ereignissen zu sehen, auch der Angriff der Russen auf Miklagard erfolgte nicht 866, sondern nach byzantinischen Quellen 860.

»859. Die Varäger kamen über das Meer und erhoben Tribut von den Czuden (finnischer Volksstamm im Gebiet von Estland und am Peipus- und Ilmensee) und Slovenen, von den Meriern und Vesen (finnischer Volksstamm südlich des Weißen Sees, auch Bjelosero genannt, südöstlich des Onegasees mit Varägerburg) und Kriviczen (bei Smolensk); die Chazaren (Turktataren am Nordkaukasus, seit 700 jüdisch missioniert) aber nahmen Tribut von den Poljanen und Severjanen und Vjaticen: sie nahmen je ein weißes Eichhorn von jedem Rauchfang.

862. Sie verjagten die Varäger über das Meer und gaben ihnen keinen Tribut und begannen sich selbst zu regieren. Und es gab unter ihnen kein Recht, und Sippe stand auf gegen Sippe, und es waren unter ihnen Fehden, und sie begannen widereinander zu kämpfen. Und sie sprachen zueinander: „Wir wollen uns einen Fürsten suchen, der über uns herrsche und gerecht richte” (alle anderen Handschriften schreiben hier: „gerecht lenke, regiere”; ein ehrwürdiger Greis mit Namen Gostomyslj soll seinen Landsleuten zu dieser Gesandtschaft geraten haben). Und gingen über das Meer zu den Varägern, zu den Russen, denn so hießen diese Varäger Russen, wie andere Schweden heißen, andere Norweger und Angeln, andere Gotländer: so auch diese. Sprachen zu den Russen die Czuden, Slovenen, Kriviczen und Vesen: „Unser Land ist groß und reich, doch es ist keine Ordnung in ihm; so kommt über uns herrschen und gebieten." Und drei Brüder wurden erwählt samt ihren Sippen, und sie nahmen alle Russen mit sich und kamen. Rurik, der ältere, ließ sich in Holmgard (Ruderburg, dt. Raugard) nieder, der zweite Signut am Beloozero (Bjelosero, Weißer See, s.o.), der dritte Thorward in Izborsk (südlich vom Peipussee). Und nach diesen Varägern wurde das russische Land Holmgard genannt, und die Holmgarder sind vom varägischen Geschlecht, früher nämlich waren sie Slovenen. Nach zwei Jahren starb Signut und sein Bruder Thorward, und Rurik bekam die Herrschaft und teilte an seine Mannen Städte aus (Hypatioschronik schreibt hier anders als die Laurentioschronik in einer nach Sachmatov, Istrin und Braun älteren Fassung: „und kamen zu den Slovenen zuerst und erbauten die Stadt Aldeigjuborg, und der ältere Rurik ließ sich in Aldeigjuborg nieder, der zweite Signut am Beloozero und der dritte Thorward in Izborsk. Und nach diesen Varägern bekam das russische Land seinen Namen. Nach zwei Jahren aber starb Signut und sein Bruder Thorward, und Rurik bekam allein die ganze Herrschaft. Und er kam zum Ilmensee und erbaute eine Stadt am Wolchow, und man nannte sie Holmgard, und er ließ sich dort als Fürst nieder und teilte an seine Mannen Gebiete und Städte zum Bauen aus...”), an den einen Polozk, an den anderen Rostow, an den dritten Beloozero. Und in diesen Städten sind die Varäger Ankömmlinge; die ersten Ansiedler aber in Holmgard sind die Slovenen, in Polozk die Kriviczen, in Rostow die Merier, am Beloozero die Vesen, in Murom die Muromer; und über alle diese herrschte Rurik. Und es waren bei ihm zwei Männer, nicht von seinem Geschlecht, auch nicht Bojaren (nach Hypatios-, Radziwill- und Akademische Chronik „sondern Bojaren”, diese beiden Männer sollen vom Hofe König Olafs stammen), und sie erbaten sich mit ihrer Sippe nach Miklagard zu ziehen. Und sie gingen den Dnjepr abwärts, und als sie vorüberzogen, sahen sie auf der Anhöhe eine kleine Feste, und sie erkundigten sich und sprachen: „Wessen ist diese kleine Feste?” Man antwortete: „Es waren drei Brüder, Kij, Scek, Choriv, die diese kleine Feste erbauten, und sie starben, und wir, ihr Geschlecht, wohnen hier und zahlen den Chazaren Tribut.” Da blieben Askold (altnord. Haskuld) und Dir (altnord. Dyri) in dieser Feste und sammelten viele Varäger um sich und begannen das Land der Poljanen zu beherrschen, während Rurik in Holmgard als Fürst saß.

866. [nach der byzantinischen Überlieferung

   Verteidigungsmauern der Varägerburgen
   Verteidigungsmauern der Varägerburgen
 
von Georgios Monachos am 18. Brachet (Juni - Anm. d. Red.) 860] Askold und Dir zogen gegen die Griechen und kamen im 14. Jahre der Herrschaft des Kaisers Michael an. Der Kaiser aber war gegen die Agarener ausgezogen, und als er zum Schwarzen Fluß gekommen war, sandte ihm der Eparch Nachricht zu, daß die Russen gegen Miklagard zögen; da kehrte der Kaiser um. Diese nun drangen in den Sud ein, richteten unter den Christen ein großes Blutbad an und schlossen mit 200 Booten Miklagard ein. (Nach den „Homilien” des Patriarchen Photios mit 360 Booten und 14.000 Mann im Jahr 865) Mit Mühe nur gelangte der Kaiser in die Stadt... Obwohl bisher Windstille geherrscht und das Meer ruhig gewesen war, erhob sich da sogleich ein Gewittersturm, und brachte, da sich von neuem mächtige Wellen erhoben, Verwirrung in die Boote der gottlosen Russen, warf sie an das Ufer und zerschmetterte sie, so daß nur wenige von ihnen diesem Unglück entrannen und in die Heimat zurückkehrten...

879. Als Rurik starb, übergab er seine Herrschaft Helgi, der von seiner Sippe war, und gab ihm seinen Sohn Ingvarr in die Obhut...«

Neben den Jahreszahlen sind auch die genealogischen Angaben Nestors zweifelhaft. Helgi schloß als Großfürst von Känugard 911 den ersten Handelsvertrag mit den Griechen, Ingvarr ist erst für 941 bezeugt. Ingvarr kommt also kaum als Sohn von Rurik in Frage, jedoch scheint Nestor dieser dynastische Zusammenhang für die Legitimität des seinerzeit herrschenden Fürstengeschlechtes unerläßlich.

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Fernhandel

Handelsbeziehungen bestanden schon seit dem Altertum zwischen dem Orient, dem östlichen Mittelmeer und dem skandinavischen Norden, selbst der Durchzug asiatischer Steppenvölker, Hunnen, Bulgaren, Avaren, Chasaren und Magyaren, brachte den Handel nicht völlig zum Erliegen. Aus diesem Handel von Volk zu Volk wurde erst durch die Vikinger ein Fernhandel. Vom Finnischen Meerbusen aus fuhren sie mit ihren kleinen, leichten Schiffen auf den großen russischen Strömen nach Süden, um in direkten Austausch mit Arabern und Griechen zutreten. Aus den Stützpunkten zur Handelssicherung erwuchsen die ersten Burg- und Stadtanlagen. Zwei natürliche Verkehrswege boten sich an:

Der erste Weg führte vom Finnischen Meerbusen und dem Ladogasee über die Mologa zur Wolga durch das Gebiet der Nordbulgaren und Chasaren nach Itil (Astrachan) zum Kaspischen Meer und über dieses hinweg zu den Arabern und nach Bagdad. Bis zur Mitte des 9. Jh. war der Wolgahandel sehr rege wie zahlreiche arabische Münzen im Baltikum, Schweden und auf Gotland belegen. Der Zusammenbruch des Chasarenreiches mit der Hauptstadt Itil (Astrachan) an der Einmündung der Wolga in das Kaspische Meer durch neuankommende asiatische Völker unterbrach diesen Warenweg.

Der zweite Weg begann ebenfalls am Ladogasee

   Schwerter vom Grund des Dnjepr
   Schwerter vom Grund des Dnjepr
 
und führte über den Wolchow, Ilmensee und Lowat zum Dnjepr. Die Kaufleute gelangten so über das Schwarze Meer nach Miklagard. Ein Hindernis auf diesem Weg waren die sieben Stromschnellen, die zudem nur 60 Tage im Jahr bei hohem Wasserspiegel befahrbar waren. Dreieinhalb Meter betrug ihre Fallhöhe, Strudel bildeten sich dahinter im Strom. Die Vikinger sammelten sich gewöhnlich im Brachet (Juni - Anm. d. Red.) bei Witebsk, bei den einzelnen Strudeln stiegen die Mannschaften aus und bewegten die Schiffe dann über Land an den Stromschnellen vorbei. Beim vierten Strudel ging dieser Transport über 6.000 Schritt. Die Namen der einzelnen Strudel sind aus Aufzeichnungen Kaiser Constantinos bekannt, z.B. Gellandi (der Gellende) oder Eiforr (der ewig Ungestüme).

Rurik verlegte seinen Hauptort von Aldeigjuborg nach Holmgard am Einfluß des Wolchow in den Ilmensee, also landeinwärts. Von dort aus war die Wolga ebenso schnell erreichbar wie der Dnjepr. Beide Ströme machten die Lebensnerven des Varägerreiches aus. Beide Wasserstraßen waren noch befahrbar, daher entließ Rurik zwei Führer aus seiner Gefolgschaft, Askold und Dir, obwohl sie nicht seinem Geschlecht entstammten und er ihnen keinen Besitz gegeben hatte, an den Dnjepr, wo sie in Känugard die Varägerherrschaft begründeten. Solange beide Wasserwege frei waren, behielt der Holmgarder Fürst durch die Lage seiner Stadt am Endpunkt beider Handelswege ein natürliches Übergewicht. In der zweiten Hälfte des 9. Jh. wurde Holmgard durch Känugard mit der Schließung des Wolgawasserweges aus seiner Stellung verdrängt, da Känugard näher an Byzanz, der oströmischen Hauptstadt und inmitten der wichtigsten Handelswaren, Honig, Wachs und Pelze, lag. Von Känugard aus konnte der Dnjepr-Handelsweg sogar völlig gesperrt werden. Die Kraft Känugards zeigt sich auch im Überfall Askolds und Dirs auf Byzanz 860, der reiche Beute brachte. In der Folge suchen Askold und Dir jedoch auch Rückendeckung vor Holmgard durch den Aufbau friedlicher Beziehungen zu den Griechen, die diesen in Erinnerung der Ereignisse von 860 sehr entgegen kamen. Der Patriarch von Byzanz versuchte die Känugarder Varäger für das Christentum zu gewinnen, Kaiser Basileios I. schloß mit ihnen einen Friedensvertrag. Eine Kirche über dem Grab von Askold deutet an, daß es wahrscheinlich gelang, ihn für die Christenlehre zu gewinnen.

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Helgi 879 - 912

Helgi greift 882 von Holmgard auf Känugard über und bleibt Sieger über Askold und Dir. Die Nestorchronik berichtet über diesen listenreichen Kampf:

»882. Helgi zog aus und nahm viele Krieger mit: Varäger, Czuden, Slovenen, Merier, Vesen und Kriviczen. Er zog vor Smolensk im Lande der Kriviczen und nahm die Stadt und setzte einen seiner Mannen ein. Von da zog er abwärts und nahm Ljubetsch und setzte einen seiner Mannen ein. Und die beiden kamen zu den Känugarder Anhöhen, und Helgi erfuhr, daß dort Askold und Dir herrschen: und er verbarg seine Krieger in den Booten, die anderen aber ließ er zurück und kam selbst, den jungen Ingvarr tragend. Und er fuhr an Ugorskoje heran, verbarg seine Krieger und sandte zu Askold und Dir also sagend: „Wir sind fremde Kaufleute, ziehen nach Griechenland von Helgi und Ingvarr, dem Fürstensohn. Kommt zu uns, euren Sippengenossen.” Askold und Dir kamen, und da sprangen alle anderen aus den Booten heraus. Und Helgi sprach zu Askold und Dir: „Ihr seid keine Fürsten, auch nicht vom fürstlichen Geschlecht: ich aber bin vom fürstlichen Geschlecht”, und man trug Ingvarr heraus, „und dies ist Ruriks Sohn”. Da töteten sie Askold und Dir und trugen sie auf die Anhöhe und begruben sie auf der Anhöhe, die jetzt Ugorskoje heißt, wo jetzt Olmas Hof liegt; auf diesem Grabhügel erbaute er die Kirche des hl. Nikolaus; Dirs Grabhügel aber liegt hinter der Kirche der hl. Irene. Und Helgi ließ sich als Fürst in Känugard nieder, und Helgi sprach: „Dies soll die Mutter der russischen Städte sein.” Und bei ihm waren Varäger und Slovenen, und die übrigen nannten sich Russen. Dieser Helgi begann Städte zu bauen und setzte für die Slovenen und Kriviczen und Merier Tributzahlungen fest. Und er bestimmte, daß Holmgard den Varägern jährlich 300 Grivnen Tribut zahle Friedens halber: den gab es den Varägern bis zum Tode Jaroslavs.

883. Helgi begann die Derevljanen zu bekriegen. Und nachdem er sie unterworfen hatte, nahm er von ihnen als Tribut je ein schwarzes Marderfell.

884. Helgi zog gegen die Severjanen und besiegte sie und legte ihnen einen leichten Tribut auf und verbot ihnen, den Chazaren Tribut zu zahlen, indem er sagte: „Ich bin ihnen feind, und ihr habt es nicht nötig”.

885. Helgi sandte zu den Radimiczen und fragte: „Wem gebt ihr Tribut?” Sie antworteten: „Den Chazaren.” Und Helgi sprach zu ihnen: „Gebt ihn nicht den Chazaren, sondern gebt ihn mir.” Und sie zahlten dem Helgi je einen Schilling, wie sie auch den Chazaren gezahlt hatten. Und Helgi herrschte über Poljanen und Derevljanen und Severjanen und Radimiczen, aber mit den Ulitschen und Tivercen hatte er Krieg.

898. Die Ungarn zogen an Känugard vorbei über die Anhöhe, die jetzt Ugorskoje heißt; und sie kamen an den Dnjepr... Dann aber verjagten die Ungarn die Volochen und nahmen dies Land in Besitz und siedelten mit den Slovenen zusammen, die sie sich unterworfen hatten: und seitdem heißt dieses Land Ungarn... Es war nämlich Ein slovenisches Volk: die Slovenen, die an der Donau saßen und von den Ungarn unterworfen wurden, und die Mährer und Czechen und Ljachen und die Poljanen, die jetzt Russen heißen. Für diese wurde zuerst in Mähren die hl. Schrift übersetzt, und Schrift und Sprache wurden slovenisch genannt und herrschen bei Russen und Donaubulgaren... Das slovenische Volk aber und das russische sind Eines; denn nach den Varägern nannten sie sich Russen, anfänglich aber waren sie Slovenen; wenn sie auch Poljanen genannt wurden...Poljanen hießen sie, weil sie im freien Felde siedelten...

903. Als Ingvarr herangewachsen war, folgte er Helgi auf seinen Zügen und gehorchte ihm. Und man führte ihm eine Frau aus Pskov namens Helga zu.

907. Helgi zog gegen die Griechen und ließ Ingvarr in Känugard zurück. Er nahm eine Menge Varäger und Slovenen mit, sowie Czuden und Kriviczen und Merier und Derevljanen und Radimiczen und Poljanen und Severjanen und Vjaticzen und Chorvaten und Duleben, sowie die Tivercen, welche Fremdvölker sind: alle diese wurden von den Griechen Groß-Skythen genannt. Mit all diesen zog Helgi zu Pferde und in Booten; und die Zahl der Boote war 2.000 (mit etwa 80.000 Mann). Und er kam vor Miklagard an, und die Griechen sperrten den Sund ab und verschlossen die Stadt. Und Helgi stieg ans Ufer und begann die Umgebung der Stadt zu verheeren und tötete viele der Griechen. Und sie zerstörten viele Paläste und verbrannten Kirchen. Und von den Gefangenen, die sie machten, erschlugen sie die einen, andere marterten oder erschossen sie, andere warfen sie ins Meer; und viel anderes Böses taten die Russen den Griechen, wie das Krieger zu tun pflegen. Und Helgi befahl seinen Kriegern, Räder zu machen und auf diese Räder die Boote zu stellen. Und da sich ein günstiger Wind erhob, spannten sie die Segel auf und rückten vom freien Felde her an die Stadt heran. Als das die Griechen sahen, fürchteten sie sich und sandten Boten zu Helgi, die sprachen: „Vernichte die Stadt nicht; wir sind bereit Tribut zu zahlen, wie du willst.” Da brachte Helgi seine Krieger zum Stehen. Und man brachte ihm Speise und Wein heraus, aber er nahm es nicht an, denn es war mit Gift zubereitet. Und die Griechen fürchteten sich und sprachen: „Das ist nicht Helgi, sondern der hl. Demetrios, von Gott gegen uns gesandt.” Und Helgi gebot für die 2.000 Boote Tribut zu zahlen, für den Mann 12 Grivnen; es waren aber 40 Mann in jedem Schiff. Und das nahmen die Griechen auf sich, und die Griechen fingen an, um Frieden zu bitten, damit er nicht das griechische Land verheere. Helgi nun zog sich ein wenig von der Stadt zurück und begann mit den griechischen Kaisern Leon und Alexandros über den Frieden zu verhandeln, sandte Karl, Farlof, Weremud, Rulaw und Stemid zu ihnen in die Stadt und sprach: „Verpflichtet euch, mir Tribut zu zahlen.” Und die Griechen sagten: „Was du willst, werden wir dir geben.” Und Helgi gebot, seinen Kriegern für 2.000 Schiffe je 12 Grivnen auf das Ruder zu geben und dazu die Umlagen für die russischen Städte zu zahlen, zuerst für Känugard, dann für Czernigow und Perejaslavl und Polozk und Rostow und Ljubetsch und für die übrigen Städte; in diesen Städten nämlich saßen die großmächtigen Fürsten, die Helgi untertan waren.

„Wenn die Russen hierherkommen, sollen sie den Botenunterhalt bekommen, soviel sie wollen; die aber als Kaufleute kommen, sollen den Monatsunterhalt auf sechs Monate bekommen, Brot und Wein und Fleisch und Fische und Früchte; und man soll ihnen das Bad bereiten, so oft sie wollen. Ziehen nun die Russen heim, so sollen sie von eurem Kaiser für die Reise Lebensmittel und Anker und Tauwerk und Segel erhalten, wieviel nötig ist.” Und die Griechen verpflichteten sich dazu...

Der Kaiser Leon und Alexandros schlossen mit Helgi Frieden, nachdem sie sich zur Tributzahlung verpflichtet hatten; und sie leisteten gegenseitig den Eid: sie selbst küßten das Kreuz, Helgi aber und seine Mannen ließen sie nach russischem Brauch den Eid ablegen, und sie schworen bei ihren Waffen und bei Perun, ihrem Gott, und bei Wolos, dem Gott des Viehs, und sie bekräftigten den Frieden. Und er hängte zum Zeichen des Sieges seinen Schild (mit einem Reiter wie auf schwedischen Helmen und Bildsteinen als Zier darauf) am Stadttor auf, dann zog er von Miklagard ab. Und Helgi kam nach Känugard und brachte Gold mit und Pavoloken und Früchte und Wein und allerlei Kostbarkeiten. Und man nannte Helgi den „Zauberkundigen”, denn die Menschen waren heidnisch...

911. Im Westen zeigte sich ein großer Stern in Speergestalt.

912. Helgi sandte seine Mannen, um Frieden zu machen und einen Vertrag zwischen Russen und Griechen abzuschließen und sandte hin, indem er sagen ließ: „...Wir vom Volk der Russen: Karl, Inegeld, Farlof, Weremud, Rulaw, Gudy, Ruald, Karn, Frelaw, Rual, Aktewu, Truan, Lidul, Fost, Stemid, von Helgi, dem russischen Großfürsten, und von allen unter seiner Macht stehenden erlauchten und großmächtigen Fürsten und seinen großen Bojaren, zu euch, Leon und Alexandros und Constantinos, gesandt, zur Erhaltung und Bekräftigung der seit vielen Jahren zwischen Christen und Russen bestehenden Freundschaft nach dem Willen unserer großmächtigen Fürsten und auf Befehl aller unter seiner Macht stehenden Russen. Da unsere Erlaucht vor allem diese zwischen Christen und Russen bestehende Freundschaft mit Gottes Hilfe zu erhalten und bekräftigen wünscht, haben wir vielmals für richtig erkannt, diese Freundschaft nicht nur einfach durch Worte, sondern durch Schrift und festen Eid bei unseren Waffen schwörend zu bestätigen und zu bekräftigen, gemäß dem Glauben und gemäß unserem Brauch... wenn sich ein Verbrechen ereignet, vereinbaren wir folgendes:... Wenn einen Christen ein Russe oder ein Christ einen Russen tötet, soll er sterben, wo er den Mord begangen. Wenn der Mörder entweicht, und er hat Besitz, so soll der nächste Verwandte des Erschlagenen seinen Anteil, d.h. was ihm gesetzmäßig zusteht, nehmen, aber auch die Frau des Mörders soll haben, was ihr gesetzmäßig zusteht. Wenn der Mörder keinen Besitz hat und entflohen ist, so soll die Sache bestehen, bis er aufgefunden wird, und dann soll er sterben. Wenn jemand mit einem Schwert haut oder mit irgendeinem Werkzeug schlägt, für diesen Hieb oder Schlag soll er fünf Pfund Silber zahlen nach russischem Brauch; ist der Täter nicht wohlhabend, so soll er zahlen, soviel er kann, und sogar seine Kleider hergeben, die er auf dem Leibe hat, und überdies soll er gemäß seinem Glauben schwören, daß kein anderer ihm helfen könne: und von da an soll die Sache nicht weiter verfolgt werden... Wenn es nötig ist in den Krieg zu ziehen, und sie wollen euren Kaiser ehren, wieviele von ihnen für einige Zeit kommen und freiwillig bei eurem Kaiser bleiben wollen, die sollen von den Russen nicht gehindert werden. Von den gefangenen Russen: Wenn, wie es vielfach vorkommt, Russen aus irgendeinem Land kommen und in das Christenland verkauft werden... die sollen für 20 Zolotnik verkauft werden und dann nach Griechenland gehen... Von den in Griechenland beim christlichen Kaiser dienenden Russen. Wenn jemand stirbt, ohne über seine Habe verfügt zu haben, und er hat keine Familie, so soll er den Besitz an die entfernten Verwandten nach Rußland zurückgeben...”

Der Kaiser Leon ehrte die russischen Gesandten mit Geschenken, Gold und Pavoloken und kostbaren Gewändern... Helgis Gesandten kehrten zu Helgi zurück und berichteten, was die beiden Kaiser gesagt hatten, wie sie Frieden geschlossen und einen Vertrag zwischen dem griechischen und russischen Lande abgeschlossen hätten...

Und Helgi lebte in Frieden mit allen Völkern, als Fürst in Känugard sitzend. Und der Herbst kam heran und Helgi gedachte seines Pferdes, das er füttern ließ, ohne es zu besteigen. Denn er hatte die Zauberer und Wahrsager gefragt: „Wovon wird mir der Tod kommen?” Sprach zu ihm ein Wahrsager: „Fürst, das Pferd, das du liebst, und das du reitest, von dem mußt du sterben.” Helgi erwog das in seinem Sinn und sprach: „Ich will es niemals besteigen und nimmer mehr es sehen.” Und befahl es zu füttern, nie aber zu ihm zu führen. Und so vergingen einige Jahre, ohne daß er es sah, bis er gegen die Griechen zog. Und als er nach Känugard zurückgekehrt war und vier Jahre dort verweilt hatte, im fünften Jahr dachte er an sein Pferd, das ihm, wie die Zauberer gesagt hatten, den Tod bringen sollte. Und er berief den Obermarschalk und sprach: „Wo ist mein Pferd, welches ich zu füttern und zu pflegen befahl?” Der antwortete: „Es ist tot.” Da lachte Helgi und schalt auf den Wahrsager, indem er sprach: „Unwahr ist's, was die Zauberer sagen, alles ist Lüge: das Pferd ist tot und ich lebe.” Und ließ sein Pferd satteln: „Daß ich seine Knochen sehe!” Und er kam an den Ort, wo seine Knochen nackt dalagen, nackt auch sein Schädel, und stieg vom Pferd und sprach lachend: „Sollt ich von diesem Schädel den Tod haben?” Und trat mit dem Fuß auf den Schädel: da fuhr eine Schlange aus dem Schädel heraus und stach ihn in den Fuß. Und daran erkrankte er und starb. (vgl. die altnordische Orvar-odds saga) Und alles Volk weinte um ihn unter lauten Klagen; und man trug ihn und begrub ihn auf dem Berge, der Czekovitcza heißt; sein Grabhügel ist bis auf diesen Tag, man nennt ihn Olegs Grabhügel. Und der Jahre seiner Herrschaft waren insgesamt 33.”

Der Araber Ibn Dustah berichtet im Jahre 912 von den altnordischen Sitten, die er im Varägerland antrifft: „Ich hinterlasse dir kein Eigentum, nur was du mit dem Schwerte gewinnst, ist dein!”, sagte der Vater, wenn ein Sohn geboren wurde, das entblößte Schwert über ihn haltend.

Durch den Sieg Helgis und den damit verbundenen erneuten Ausgriff der heidnischen Holmgarder Vikinger in den Süden erlosch für eine gewisse Zeit die griechisch-christliche Mission, und die enge Anlehnung an Byzanz wurde in ein durch die Macht der Vikinger bestimmtes Vertragsverhältnis verwandelt. Helgi verlagerte so aber auch den machtpolitischen Schwerpunkt des Varägerreiches unter Wahrung der Einheit der politischen Leitung im Rurikidengeschlecht nach Süden. Grundlage des Varägerstaates war also nicht der Schutz für eine Landnahme, sondern die Sicherung des Handels. Die Verbindung mit der nordischen Heimat war so nicht mehr so leicht aufrechtzuerhalten, in der Folge beschränkte Helgi seine militärischen Unternehmungen, anders als es Askold und Dir taten. Starke Besatzungen wurden nach Smolensk und Ljubetsch gelegt und die Stämme am Dnjepr unterworfen; erst als die Wasserstraße nach Norden gesichert war, begann er den Kampf mit den Griechen. Die große Flotte des Jahres 907 diente auch nicht der Plünderung, sondern der Durchsetzung des Absatzes am vorläufigen Endpunkt des Vikingerhandels. Nur Kaufleute mit dem goldenen oder silbernen Siegel des Großfürsten von Känugard kamen in den Genuß der Vergünstigungen des Vertrages von 911. Mit der Garantie für das Wohlverhalten der vikingischen Kaufleute, denen Übergriffe und Gewalttätigkeiten untersagt wurden, erhielt der Großfürst aber gleichzeitig die Handelskontrolle. Herbst und Winter verbrachte der Großfürst mit seinem kriegerischen Gefolge, der Drushina, bei den unterworfenen Stämmen, Rechtsprechend und Tribute einsammelnd. Im Frühjahr, wenn das Eis des Dnjepr schmolz und damit die Handelsstraße frei wurde, war er wieder zurück, und nun verwandelte sich ein großer Teil der Naturalabgaben in Ware, die eingeschifft und nach Byzanz geleitet wurde. Dem fürstlichen Händler schlossen sich viele Kaufleute an, die seine Einwilligung entsprechend dem Vertrag von 911 brauchten und auch seinen Schutz genossen. Den Sommer über blieben die russischen Händler in Byzanz, wo die kaiserliche Regierung sie bis zu sechs Monaten verpflegen mußte. Kam der Herbst wurde die Rückreise mit Stoffen, Metallen und Geld angetreten. Die Hofhaltung konnte vergrößert, das Gefolge vermehrt werden, durch gemeinsame Handelsinteressen wurde das weite Herrschaftsgebiet immer enger miteinander verbunden. Känugard als Sammelpunkt aller Kauffahrer wurde dadurch zur Mutter aller Städte, wie Helgi selbst vorhergesagt haben sollte. Obwohl der Känugarder als Großfürst die Oberhoheit über alle varägischen Stadtfürstentümer in Anspruch nahm, war seine Stellung noch bis ins 10. Jh. nicht so gefestigt, daß er als Alleinherrscher hätte gelten können. In den Verhandlungen mit Byzanz erschienen neben ihm andere Varägerfürsten als Auftraggeber der Gesandten, und häufig kam es auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den anderen Fürsten und ihrem Vikingergefolge, in deren Folge diese dem Känugarder Reich einverleibt oder andere Rurikiden als Herrscher eingesetzt wurden. Die aus dem Norden nachkommenden Skandinavier reihten sich in das kriegerische fürstliche Gefolge ein oder führten den Handel fort, siedelten sich aber nur selten an. Von ihrer Teilnahme an den Fahrten und Gefechten in Rußland zeugen die zahlreichen Runensteine in Södermannland, Upland und Östergötland:

»Dyir, der Steuermann, errichtete diesen Stein zum Andenken an seine drei Söhne, der eine hieß Aki, der im Auslande umkam, Jufur steuerte das Handelsschiff und kam an griechische Häfen, er starb zu Hause, Ingvar haute die Runen ein.«

»Þorsteinn errichtete dies zum Andenken an seinen Sohn Erimund. Er kaufte dies Gehöft und erwarb sich im Osten in Rußland Güter.«

»Er ging ostwärts mit Ingvarr, befehligte ein Schiff in Ingvars Flotte und fiel im Osten unter Ingvarr.«

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Ingvarr 912 - 945

Ingvarr lenkte den Griechen gegenüber wieder in die alte räuberische Auseinandersetzung zurück, scheiterte aber bei seinem Überfall auf Byzanz im Jahre 941. Die Byzantiner waren rechtzeitig gewarnt worden und konnten die russische Flotte durch Anwendung des griechischen Feuers, eines Gemisches aus Naphtha, Schwefel und Pech, zurückschlagen. 944 waren zahlreiche Vikinger aus Skandinavien angekommen, und eine neue Streitmacht rückte gegen Byzanz vor, besonders gut war das erste von Ingvarr auf russischem Boden geschaffene schwedische Reiterheer. Kaiser Romanos schickte eine Gesandtschaft zur Donaumündung, die reiche Geschenke und erweiterte Verträge anbot. Eine Erneuerung des Handelsvertrages durch den Rat der Edlen um Ingvarr erfolgte. Das fürstliche Gefolge gewann mehr Macht und versuchte nun, den Fürsten von sich abhängig zu machen. 945 schickte Ingvarr eine Sondergesandtschaft an den Hof nach Byzanz, darunter 25 Kaufleute, 23 von ihnen mit nordischen Namen. Sie bildeten eine Gilde, die silberne Siegel führte, und werden von Nestor als „gostj" (Gäste) bezeichnet, allerdings mit der Bedeutung Hofbeamte oder Kuriere. In dem Vertrag werden die alten Rechte der Varäger jedoch beschränkt: Die russischen Kaufleute durften sich nur noch einen Monat lang und ohne Waffen in Byzanz aufhalten, sie mußten die Stadt durch ein bestimmtes Tor betreten, nicht mehr als 50 zugleich und durften auch auch nicht mehr als für 50 Gulden Seidenstoff erwerben. Die eigentliche Staatskrise verursachte jedoch der Zwiestreit zwischen dem händlerisch-rechnerischen Element in der Verwaltung, entsprungen aus dem wirklichkeitsnahen, nüchternen Denken der Skandinavier und dem heldischen, in die Ferne drängenden, Abenteuer suchenden Streben nach Kriegsruhm und Beute. Anfänglich verband sich Händler und Held, Kaufmann und Krieger in einer Person, das Handelsmonopol des russischen Staates beschränkte aber den auf ruhmvolle Taten gerichteten, unbezähmbaren Abenteuerdrang der Gefolgsleute. Das Aufbegehren der Vikinger strebte nicht nach mehr Teilnahme an der Staatsmacht, sondern nach Befriedigung des Dranges in die Ferne. Ingvarr, gedrängt von seinen Gefolgsleuten, erhob von den Stämmen für seine Vikinger, um diese wie andere Normannenherzöge besser versorgen zu können, doppelten Tribut und wurde bei dem folgenden Aufstand 945 erschlagen. Helga, seine Witwe, übernahm für ihren unmündigen Sohn Svjatoslav die Regentschaft und führte für ihren Gatten einen wilden Blutrachefeldzug, der auch die Staatsmacht wieder herstellte. In diesen Spannungen ihres Vielvölkerstaates glaubte sie einen Rückhalt im Christentum, das immer auch die Vermischung und einen „Herrscher von Gottes Gnaden” förderte, gefunden zu haben. 957 erfolgte ihre Taufe auf den Namen Helena in Byzanz mit allem kirchlichen Pomp, der griechisch-römische Kaiser wurde ihr Taufpate. Mit dem Anschluß an die christlich-griechische Kultur wollte sie jedoch nicht zugleich den politischen Anschluß an Byzanz, wie ihre Gesandtschaft an Kaiser Otto in Deutschland 959 zeigt. Möglicherweise wollte sie eine Verbindung mit dem nach Osten missionierenden Hl. Römischen Reich (deutscher Nation). Aus Deutschland kam als Gesandter der Missionsbischof Adalbert, Mönch des Klosters St. Maximin zu Trier, „bewährt” als Erzbischof der Magdeburger Mission. Aus der Vikingergefolgschaft wurde ihm jedoch Widerstand entgegengesetzt. Selbst Helgas Sohn, Svjatoslav, lehnte den Übertritt zum Christentum mit der Begründung, seine Mannen würden darüber nur lachen, ab. Nach Ruhm und großen Taten dürstend, wußte er mit dem Christentum so wenig wie seine Gefolgsleute anzufangen. Ihm war der neue Glaube lächerlich.

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Svjatoslav 946 - 973

Unter diesem Herrscher brachen

   Svjatoslav im Kampf mit den Petschenegen (eine Miniatur aus der Handschrift des Johann Skiliza).
   Svjatoslav im Kampf mit den Petschenegen (eine
   Miniatur aus der Handschrift des Johann Skiliza).

 
die Vikingereigenschaften noch einmal durch, und ein Jahrzehnt lang hallt die russische Steppe wieder vom Klang der Waffen. Es kann vom heroischen Zeitalter des Varägerreiches gesprochen werden. Uferlosen Plänen folgen glänzende Taten und große Waffenerfolge, die Kraft des Staates wird jedoch damit verzehrt, die Vikingerschaft blutet aus. Das Gebiet um Moskau im Land der Wjaticzen, Zentrum des späteren Rußland wird erobert, die Chazaren werden geschlagen, auch das Reich der Nordbulgaren (muslemisches Turkvolk) an der Wolga wird niedergeworfen. Die Wolgawasserstraße öffnet er jedoch nicht. Die Griechen spielten schließlich ihre zwei gefährlichen Gegner, das Varägerreich und das Reich der Donaubulgaren, gegeneinander aus, wobei sie die Varäger zum Schluß auch noch verrieten. Beim Angriff auf Byzanz scheiterte er schließlich und wurde in Silistria vernichtet, als Gefangener mußte er um Frieden bitten. Mit kleinem Gefolge in sein Reich zurückkehrend, erschlugen ihn die Petschenegen (mongolischer Volksstamm) 972 an den Stromschnellen des Dnjepr.

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Waldemar 972 (980) - 1015

Svjatoslavs Sohn Waldemar, von der Kirche „Der Heilige” genannt, rief gegen seine legitimen Halbbrüder Vikinger aus dem Norden zu Hilfe, die er dort selbst warb. Glänzende Versprechungen und Aussicht auf große Beute brachten ihm erheblichen Zulauf, obwohl er selbst nicht nur Vikingerblut in seinen Adern hatte. Bei seinem Marsch auf Känugard 980 berührte Waldemar Polozk, wo der Varäger Rogwolod herrschte. Bei diesem hielt er um die Hand seiner Tochter Rogned an. Das Mädchen weigerte sich aber, Waldemars Werbung Gehör zu schenken, weil sie dem Bastard nicht die Schuhe lösen wolle, sondern einen vollbürtigen Fürsten zum Manne begehre. Waldemar rächte diese Schmach, indem er Rogwolod und seine beiden Söhne erschlug und Rogned mit Gewalt zwang. Mit Känugard eroberte er die Alleinherrschaft in Rußland. Seine Gefolgschaft aus Vikingern erwartete von ihm nun entsprechende Entlohnung, wurde jedoch sehr geschickt weitergesandt. »Danach sprachen die Varäger zu Waldemar: „Dies ist unsere Stadt, wir haben sie erobert; so wollen wir von ihnen ein Lösegeld haben, zwei Grivnen auf den Kopf.” Und Waldemar sprach zu ihnen: „Wartet einen Monat lang”, und er gab ihnen nichts. Da sprachen die Varäger: „Du hast uns betrogen; weise uns den Weg nach Griechenland.” Er sagte zu ihnen: „Gehet!” Und er wählte aus ihrer Mitte gute und verständige und tapfere Männer aus und verteilte unter sie Städte; die anderen aber zogen zu den Griechen nach Miklagard. Und er sandte Boten vor ihnen her, also zum Kaiser sprechend: „Siehe, die Varäger ziehen zu dir; halte sie nicht in der Stadt, sonst werden sie dir Böses tun wie auch hier; verteile sie auf verschiedene Plätze, aber hierher laß keinen einzigen zurück.” Und Waldemar begann allein in Känugard zu herrschen. Und er stellte Götzenbilder auf dem Hügel außerhalb des Teremhofes auf: einen hölzernen Perun, sein Kopf aber war silbern, sein Schnurrbart golden; und den Chors, den Dacbog und Stribog, und den Semargl und die Mokos. Und sie brachten ihnen Opfer dar, sie Götter nennend... Waldemar setzte seinen Oheim in Holmgard ein. Und dieser kam nach Holmgard und stellte ein Götzenbild des Perun am Wolchow auf; und die Holmgarder opferten ihm als einem Gott.« Kaiser Basileios II. richtete gerade zu dieser Zeit ein Hilfegesuch an Waldemar, der sich, schon um die Vikinger wieder loszuwerden, dazu bereiterklärte, würde ihm eine geborene byzantinische Prinzessin zur Frau gegeben. Der Wunsch nach Verschwägerung mit dem alten Römergeschlecht war bisher selbst den westlichen Kaisern abgeschlagen worden, empfanden sich die Byzantiner doch als Wahrer römischen Kaisertums und orthodox-christlicher Lehre. Waldemar war jedoch sofort bereit, den Haupteinwand, ein heidnischer Barbarenfürst zu sein, zu entkräften, indem er seinen und seines Volkes Übertritt zum Christentum in Aussicht stellte. Dieser Übertritt erfolgte ähnlich der fränkischen unter Chlodwig ohne Befragung der Untertanen, die teilweise mit brutaler Gewalt dazu gezwungen wurden. Basileios vermählte 989 zu Cherson seine Tochter Anna dem Großfürsten gegen Entsendung eines Hilfskorps von 6.000 Mann. Die Vikinger hatte das sagenhafte Miklagard gelockt, und ihre kriegerische Aktivität rettete tatsächlich das Byzantinerreich. Waldemar riet seinem Schwager, er möge die Varäger nicht in seiner Hauptstadt verwenden, weil sie dort Unheil anrichten könnten, sondern solle sie in kleinen Gruppen über das Land verteilen und vor allem nicht nach Rußland zurückkehren lassen. Sie blieben auch in griechischen Diensten und bildeten den Grundstock einer Elitetruppe der byzantinischen Armee, die bis zum Jahre 1453 eine bedeutende Rolle spielte. Waldemar selbst füllte seine Gefolgschaft mit Söldnern fremder Völker auf. Herrenrecht ersetzte Gefolgschaftsrecht, despotische Verhaltensweisen griffen in Rußland aus. »Als Morgengabe für die Kaisertochter gab er den Griechen Korsun zurück, er selbst aber kehrte nach Känugard heim. Als er angelangt war, ließ er die Götzen umstürzen, die einen zerschlagen und die anderen verbrennen. Den Perun aber ließ er einem Pferde an den Schwanz binden und ihn die Anhöhe herab durch den Boriczew zum Ruczaj schleppen; und er stellte zwölf Männer hin ihn mit Ruten zu schlagen: dies aber nicht, als ob das Holz etwas fühle, sondern dem Teufel zum Hohn, der unter dieser Gestalt die Menschen täuschte, daß er Strafe empfange von den Menschen... Gestern von den Menschen geehrt, aber heute beschimpft. Als er nun den Ruczaj entlang zum Dnjepr geschleppt wurde, weinte um ihn das ungläubige Volk, denn es hatte noch nicht die hl. Taufe empfangen. Und man schleppte ihn zum Dnjepr und warf ihn hinein. Und Waldemar stellte Leute an und sprach: „Wenn er irgendwo ans Land kommt, stoßet ihn vom Ufer ab, bis er die Stromschnellen hinter sich hat; dann sollt ihr ihn lassen.” Sie nun taten, was ihnen befohlen war. Als sie ihn losließen, schwamm er durch die Stromschnellen hindurch, und der Wind warf ihn auf eine Sandbank; die ward von nun an „Peruns Sandbank” genannt, und so heißt sie bis auf den heutigen Tag. Alsdann sandte Waldemar durch die ganze Stadt und ließ sagen: „Wer sich morgen nicht am Fluß einfindet, er sei reich oder arm, Bettler oder Arbeiter, der soll mir verhaßt sein.”... Am anderen Morgen zog Waldemar samt den Priestern, der Kaisertochter und den Korsuner Priestern an den Dnjepr, und unzählige Menschen waren dort zusammengekommen. Sie stiegen ins Wasser hinein und standen, die einen bis an den Hals, andere bis zur Brust, die Jungen am Ufer, andere ihre Kinder haltend, die Erwachsenen aber wateten, und die Priester standen da und verrichteten ihre Gebete... Und nachdem Waldemar gesprochen hatte, ließ er Kirchen zimmern und sie an den Stätten aufstellen, wo die Götzen gestanden hatten. Und er baute die Kirche des hl. Basilios auf dem Hügel, wo der Götze Perun und die übrigen standen, wo Fürst und Volk Opfer darbrachten. Und er begann, in den Städten Kirchen zu erbauen und Priester einzusetzen und das Volk in allen Städten und Dörfern zur Taufe zu führen.

   Dach eines Varägerhauses
   Dach eines Varägerhauses
 
Dann ging er hin und ließ die Kinder der angesehenen Männer nehmen, um sie in der Schrift zu unterweisen: die Mütter aber dieser Kinder weinten um sie, denn sie waren noch nicht im Glauben befestigt, und sie beweinten sie wie Tote.” In ähnlicher Art und Weise fand das Standbild des Perun in Holmgard in den Fluten des Wolchow ein Ende. Die Känugarder Götter werden auch im Igorlied, einem um 1200 entstandenen Heldenepos, genannt. Der Fürst Igor (1150 - 1202) führte einen Feldzug gegen die heidnisch gebliebenen Polowzer, die sein Heer 1185 schlagen. Wie im Frankenreich römische Kultur germanische vernichten wollte, tat es im Varägerreich nun griechisch-römische, beide eingegliedert in den Totalitarismus des Christentums. Ironie wurde geradezu, daß bis ins 13. Jh. tatsächlich nur, dem Namen nach, Rurikiden herrschten, deren Stammvater vor dem im skandinavischen Norden vordringenden Christentum nach Rußland gekommen war, selbst nach dem Tartarensturm knüpften die Moskauer Großfürsten an diese nominelle Tradition an. Gelegentlich flüchteten noch Skandinavier nach Rußland, einige Heiraten mit schwedischen, dänischen und norwegischen Königsgeschlechtern erfolgten. Das Denken beherrschte jedoch die orthodoxe Kirche, die glagolitische Sprache und Schrift. Erhalten blieb aber viel nordisches Brauchtum im Volk, manches in der Kleidung, z.B. die typisch skandinavisch-russischen Kittel mit Schmuckborte, die unter dem Knie festgebundenen weiten Hosen, und die reichgeschnitzten und verzierten hölzernen Blockhäuser.

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Götter zu Känugard

In Känugard befand sich das Standbild des Sonnengottes Chors, dessen Name allerdings einen persischen Ursprung andeutet. Fürst Waldemar, ein reiner Machtpolitiker in der Beschreibung der Nestorchronik, wollte Känugard damit wohl auch zum kultischen Mittelpunkt aller Söldner seiner angeworbenen Truppen machen.

Dacbog oder Dabog, also Tagesgott, ist ein Sonnengott, der „Spender des himmlischen Feuers”, das Igorlied nennt die Russen Dabogs Enkel. Zunächst war Dabog nur der Beiname des Svarog, später geht der Kult jedoch auf seinen Namen über. Im Süden Rußlands ist Dabog auch der Erdenherrscher und bleibt auch in christlicher Zeit erhalten. Svarog wurde besonders mit der Koseform Svarozitz nicht nur als Sonnengott, sondern auch als Gott des Herdfeuers, von den Byzantinern mit Hephaistos verglichen, verehrt. Thietmar von Merseburg erwähnt seinen Tempel zu Beginn des 11. Jh. in Radegast mit drei Toren und drei Giebeln, auch hundert Jahre später erwähnt ihn Adam von Bremen im Zusammenhang mit Radogast. Unter varägischem Einfluß wird die Verehrung von Svarog als oberstem Gott von Perun abgelöst.

Perun („Keule”) ist der Donnergott Þorr, schon der Byzantiner Prokop von Cäsarea (490 -ca. 555) erwähnt ihn als höchsten Gott. Es sollen ihm Stiere geopfert worden sein. Verschiedene Orts- und Bergnamen weisen auf ihn: Pirna in Sachsen, Perunovac in Serbien, Perunji Vrh in Südkärnten. Donner und Blitz heißen polnisch „piorun”, slowakisch „parom” (glagolitische Wortverdrehungen). Bei Perun beschworen die Varäger Verträge. In Litauen heißt ganz ähnlich der Blitzgott Perkunas, dessen heiliger Baum die Eiche ist. Mokos ist eine Göttin der Fruchtbarkeit, die besonders den Frauen heilig ist. Sie blieb nach der christlichen Bekehrung im russischen Volksglauben lebendig, so als Schafhirtin und Hausgeist Mokuscha, der während der Fastenzeit die Spinnerinnen beunruhigte. Um Mokuscha günstig zu stimmen, legt man nachts Strähnen von Schafsvlies auf den Ofen.

Kikimora ist ein Hauskobold, der sich zur Nachtzeit heimlich an der Spindel zu schaffen macht und den Flachs verwirrt.

Der Ovinnik ist ein russischer Hauskobold,der unter der Getreidedarre sitzt. Im Umkreis von Orel soll er den Bauern gegen Kreuzschmerzen helfen, wenn er am 1. Neblung (November - Anm. d. Red.) verehrt wird. Als Auftakt zum Korndreschen am 4. Scheiding (September - Anm. d. Red.) opfert man dem Ovinnik ein Huhn. Die Geburtsfeen und Schicksalsführerinnen, im Norden Nornen genannt, werden in Rußland Rod(janitza) genannt.

Semargl, auch Sim und Regl genannt, ist eine in Känugard verehrte Gottheit ungeklärter Herkunft und Wirkungskreises.

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Varägergarde 989 - 1453

Nachdem schon unter Constantin, Justinian, Theodosius Hilfstruppen aus Goten, Vandalen und anderen Germanen aufgestellt worden waren und sich die Leibwache aus Germanen, die wegen ihrer Treue, ihres Mutes und ihrer stattlichen Erscheinung sehr geschätzt wurden, zusammensetzte, dienten seit etwa 950 einzelne Varäger bei den byzantinischen Kaisern. Byzantinische Solidi aus dem 6. Jh., Hals- und Brustschmuck aus byzantinischen Goldmünzen in nordischen Grabstätten geben Zeugnis davon. Das von Waldemar entsandte Hilfskorps des Jahres 989 stellte jedoch das erste varägische Leibregiment der griechischen Kaiser dar. Diese Barangoi (Varangen) genannte Truppe, zuerst noch unter griechischen, dann unter eigenen Befehlshabern (gr. Akoluthos) galt als ganz besonders treu, zuverlässig und tapfer. Die Njals-saga nennt den Kommandeur „höfþingi syris Væringjalið". Bekannte Anführer waren der Isländer Kolskegg, sein Nachfolger Bolle Bolleson und der norwegische König Harald der Harte, der auch in der Schlacht von Stiklastadir mitgefochten hatte und zur Zeit von Waldemars Sohn Jaroslav I. unter dem Namen Nordbrikt (Norbert) Kommandant der Garde wurde. Sie stellten die Palastwache und verwahrten die Schlüssel des Palastes und der Residenzstädte, stellten auch die Fahnenwachen des Reichspaniers. In zahllosen Schlachten brachten sie, nachdem sich die griechischen Truppen und manche Hilfsvölker vergeblich verbluteten, den Ausschlag. Der Kommandant Nordbrikt kämpfte in Syrien, Afrika, Sizilien, den griechischen Inseln, Armenien und stürmte mit der Garde allein 80 Araberburgen. Nach der Christianisierung erbauten sie sich die Olafskirche in Byzanz, in der auch das Langschwert Heitnir des Königs Olaf aus der Schlacht bei Stiklastadir 1030, in der der König fiel, hing. Ein Schwede zur Zeit Kaiser Kyrjalax brachte es mit. Die Garde speiste an der kaiserlichen Tafel aus der Heimat Bekanntes, u.a. Spanferkel; beim Tode eines Kaisers hatte sie das Recht in die Schatzkammern zu gehen und alles mitzunehmen, was sie mit den Händen greifen konnten. Der Brauch wurde Palastplünderung genannt. Der Sold war außerordentlich hoch, die Beute reich, dafür aber auch die Ordnung in der Truppe sehr gut. So wurde unter Kaiser Michael IV. ein Varäger im lydischen Thema Trakesion von einer Frau mit einem Schwert für eine ihr angetane Beleidigung getötet, die Garde gab als Sühnegeld der Frau den Nachlaß des Erschlagenen. Die griechische Kaisertochter Anna Komnena gibt einen Ausspruch eines Ratgebers gegenüber Kaiser Alexios Komnenos wieder: „Die Varäger, diese Barbaren aus Thule, die zweischneidige Äxte auf ihren Schultern tragen, betrachten den Ruhm unverbrüchlicher Treue als ihr kostbarstes Erbteil; sie zum Verrat bereden zu wollen, wäre ein fruchtloses Unternehmen, deshalb sind sie vor allen anderen zur Leibwache des Kaisers auserkoren.”

Runensteine berichten: »Ragnvald, der in Griechenland lifforungi (Fahnenträger) war« oder »Sie fuhren verwegen für Gold in Fernen, atzten Adler im Osten, sanken südwärts in Serkland.« Selbst am Marmorlöwen von Piräus, seit 1687 vor dem Arsenal in Venedig, finden sich auf dem Fell zwei Tierschlingen mit Runen. Die lesbare Schlinge lautet: »Sie fällten ihn in Heeres Mitte, doch in diesem Hafen meißelten Männer Runen für Horse, einen braven Bauern der Bucht. Schweden zeichneten dies auf dem Löwen ein.« Seit dem 10. Jh. dienten 700 Varäger auf der Kaiserlichen Flotte, während in der Garde 1.000 Mann, davon die Hälfte in der Nähe des Kaisers, die andere Hälfte im Felde, Dienst taten. Neben den zweischneidigen Äxten, bei den Anführern vergoldet, führten sie Langschwerter, stählerne Helme, Brünnen und rote Schilde. Einheimische Bräuche wurden weitergepflegt, so feierte die Garde das Weihnachtsmahl innerhalb der Feier der zwölf heiligen Nächte. Dabei wurde ein sogenanntes Gotenspiel aufgeführt: Zwei Wettrennparteien, die Blauen und die Lauchgrünen, mit je einem „Goten” an der Spitze erschienen. Die Goten trugen nach außen gewandte Pelze, verschiedene Masken, Ruten in der Rechten, mit denen sie auf in der Linken gehaltene Schilde schlugen. Die beiden Reihen stellten sich kreisförmig zum Schlachttanz auf und schlugen mit den Ruten und dem Ruf „Tul, Tul” auf die Schilde. Eine eigenartige Melodie wurde gespielt und folgender Spruch, in einem griechisch-lateinisch-nordischen Gemisch überliefert, vorgetragen:

»Freue dich schöner Genossenschaften! Freut euch der Tage des Festes im Wettstreit! Zu froher Stunde Trompetenschall erhebend, mit edler Lust zuschauend! Gerettet ist, Nana, der Gott, der Gott! An feierndem Tage, Nana, göttlichen Jubels, Jubel, jubelnder, Nana, du am Anfang geborener schöner Tul, er siege, o Tul und o Nana! «

Die Feier endete mit dem Spruch: »Iber, Iber, schon du Düstrer, geh mit deiner Schar zurück -Nana, so strahle empor du unter den dem Untergang Verfallenen! «

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Schrifttum:

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Dieses ist ein Artikel der
Weltnetzzeitschrift „Der Lotse”