Kritik der Slawenhypothese
von Michael Pflanz

 

Einleitung

Seit Jahrzehnten streiten die Fachgelehrten, deren Meinungen durch die Medien immer wieder Publizität erlangen, über die Frage des Slawentums. Es handelt sich aber keineswegs um eine rein akademische Frage, die nur Sprachgelehrte oder Volkskundler etwas anginge, sondern das Problem der Slawenhypothese ist bis in die Gegenwart bestimmend für den Frieden und die gesellschaftliche Gestaltung Europas. Fast endlose, sich immer erneuernde Kriege und ein Völkerhaß hohen Ausmaßes auf Grund der angeblichen Überlegenheit eines Volkes über das andere Volk waren die Folge. Aus den im germanischen Frieden Midgards lebenden Stämmen wurden sich bekämpfende Deutsche und „Slawen", die sich gegenseitig Feldzüge, Kriege und Racheakte lieferten! Die Sinnlosigkeit dieses schrecklichen Geschehens für Europa wird in der nachfolgenden Betrachtung deutlich.

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Die Slawenhypothese

Nach dieser verbreiteten Hypothese wurde der mitteleuropäische Raum nach Abzug der germanischen Völker zwischen dem 3. und 9. Jh. ganz oder bis auf wenige Reste menschenleer und „slawische” bzw. wendische Stämme drangen in ihn ein, teilweise sogar schon vor 3000 Jahren. Einige wenige extreme Autoren (z.B. Kostrezewski) leugneten sogar jedwede germanische Besiedelung östlich der Elbe. Um 800 n.u.Z. sollen sie im Westen eine Linie erreicht haben, die sich vom Ostufer der Kieler Förde bis zur Elbe, dann Elbe und Saale aufwärts bis zum Fichtelgebirge und Böhmerwald erstreckte. Im Süden seien die „Slawen” bis weit in die Alpen (Radstädter Tauern) vorgedrungen. Ihre Urheimat sei nicht bekannt oder läge im Gebiet der Pripjetsümpfe, nach anderer Meinung (Kovalevsky) irgendwo zwischen Weichsel und mittlerem Dnjepr, eventuell auch auf dem Balkan. Unter der Regierung des Frankenkaisers Karl hätte dann die „Regermanisation” oder Ostkolonisation begonnen. „Die deutsche Kultur trug den Sieg davon über das primitive Slawentum” (Volz, Der deutsche Volksboden, Breslau 1926, S.5).

In den alten Handschriften finden sich die lateinischen Worte „sclavi” oder „sclaveni” aus mlat. sclavus, auch mgr. sklabos und sclabenos entlehnt, die zumeist mit Sklaven, Sclaven oder Schlaven, wobei das „v” gegen „w” wechseln kann, übersetzt wurden. Pseudo Cäsarius von Nazianz verwendet das Wort „sclavenoi", Prokopius das Wort „sclabenoi” im 6. Jh. für tributpflichtige Nichtchristen außerhalb der Grenzen des oströmischen Reiches. Bis etwa 700 war „sclavi” in Mitteleuropa als Synonym für Heiden praktisch unbekannt. Karl der Franke führte mit Blick auf die Gebiete an der fränkischen Ostgrenze und jenseits der Elbe diesen Begriff ein. Einhard, Karls Geschichtsschreiber (gest. 840) bezeichnet die Bewohner östlich der Elbe als „sclavi", gleichzeitig mit dem Begriff „sclavi” wird häufig auch die germanische Stammesbezeichnung angegeben. Unter „sclaveni” verstand man die ostgermanischen Heiden, die Götzenanbeter, die Rechtlosen, die im Gegensatz zum Christen versklavt werden durften. Vielleicht betrachtete die Kirche die Ostgermanen auch noch als Sklaven ihrer Götter. Mit der Zwangschristianisierung der Sachsen wird der Begriff „sclavi” auch auf alle Zwangschristianisierten in den Einzugs- und Zielgebieten ausgedehnt. Außerhalb dieser Gebiete, z.B. in Dänemark wird auch das lateinische Lehnwort „pagani” (Heiden oder Freibauern) benutzt. Althochdeutsch-plattdeutsch heißt es dann „Slawe", beispielsweise in dem bekannten Spruch „Lever dod as Slaw!". Auch der „Neue Brockhaus” (1960, Bd. 5, S. 21) schreibt: „Sklave eigentlich 'Slawe', Sklavinnen, Hörige(r) völlig entrechteter Mensch, Besitz eines anderen; abgeblaßt - stark abhängiger Mensch". Die deutsch geschriebenen mittelalterlichen Texte übertragen „sclavi” meist mit „Wenden". Immer aber ist diese Bezeichnung, seit ihrem ersten Auftauchen in der Gotengeschichte des Jordanes, ein Synonym für Heiden. Jordanes schreibt in „De origine actibusce Getarum (Getica)": „Links von diesen (Anm.: Gepiden), wo die Grenze nordwärts geht, von den Quellen der Vistula ab über ungeheure Strecken hin sitzt das Volk der Veneter (Anm.: venethi, die Menschen mit den meerblauen Augen). Mögen auch ihre Benennungen wechseln nach ihren verschiedenen Stämmen und Wohnsitzen, die hauptsächlichen Namen sind doch die der Sklaven und Anten. Die Sklaven haben das Land von der Stadt Novietunum und dem sogenannten Mursianischen See bis zum Danaster, im Norden bis zur Vistula inne. Statt in Städten wohnen diese in Sümpfen und Wäldern". Diese Veneter erwähnen auch schon Plinius als Venedi und Tacitus als Venethi, Prokop unterscheidet die zwei Gruppen der Winidae: die Sclavenen und die Anten. Erst Wilhelm Christiani benutzt in seiner „Geschichte der Herzogthümer Schleswig und Holstein", Flensburg, Leipzig 1775-1779, das Wort „Slawen” beständig. August Ludwig Schlözer (1738-1809) führt den Begriff „Slawen” in die deutschsprachige Literatur ein, obwohl auch er über die Slawen sagen muß: „der große berühmte, altemächtige Volksstamm im Norden, den wir noch zur Zeit so wenig kennen” (weil die Chronisten „Slawen” als Volksstamm nicht erwähnen konnten, da es einen solchen Volksstamm gar nicht gab), wird vom russischen Zaren für seine Verdienste um Rußland und das „Slawentum” geadelt. Unter seinem Einfluß stand der ostpreußische Pfarrerssohn, selbst Pfarrer, Philosoph und Dichter, Johann Gottfried von Herder (1744-1803), der über heidnisch-ostgermanische Völker schreibt: „Die slawischen Völker nehmen einen größeren Raum ein als in der Geschichte, unter anderen Ursachen auch deswegen, weil sie entfernter von den Römern lebten. Wir kennen sie zuerst am Don, späterhin an der Donau, dort unter Goten, hier unter Hunnen und Bulgaren, mit denen sie oft das römische Reich sehr beunruhigten, meist nur als mitgezogene helfende oder dienende Völker. Trotz ihrer Taten hier und da waren sie nicht ein unternehmendes Kriegs- und Abenteuervolk wie die Deutschen; vielmehr rückten sie diesen stille nach und besetzten ihre leergelassenen Plätze und Länder, bis sie endlich den ungeheuren Strich innehatten, der vom Don zur Elbe, von der Ostsee bis zum Adriatischen Meer reichte". Herder beschreibt dann die einzelnen Länder, die sie in Besitz nahmen, und schließlich die Erbauung ihrer Seestädte (Vineta auf Rügen, das „slawische” Amsterdam) sowie ihre Gemeinschaft mit Preußen, Kuren und Letten, „wie die Sprache dieser Völker zeigt". Aus den ähnlichen slawischen Sprachen schloß man auf ähnliche oder gleiche Völker, woraus der Wunsch nach einer Annäherung der „slawischen” Völker (Panslawismus) erwuchs. Aus der Erinnerung an die deutsch-slawischen Kriege des Mittelalters erwuchs die politische Forderung nach Wiedergutmachung und Wiedergewinnung der früher von „Slawen” bewohnten Gebiete. Herder urteilte, daß „sich mehrere Nationen, am meisten aber die vom deutschen Stamme, an ihnen hart versündigt” haben; „Franken und Sachsen haben sie unter dem Vorwande der Religion in ganzen Provinzen ausgerottet und zu Leibeigenen gemacht und ihre Ländereien unter Bischöfe und Edelleute verteilt” (Herder, Ideen zur Geschichte der Menschheit, Karlsruhe 1820, S. 31). Herder sagte auch, daß die christliche Religion nur zum Vorwande gebraucht wurde, tatsächlich aber Handelsvorteile die Ursache der Unterdrückung wären. Aus der Annahme unterschiedlichen Volkstums von Deutschen und Slawen entstand daher nun Haß, der Rache forderte. Die gefälschten Königinhofer und Grünberger Handschriften sollten diese Haltung unterstützen. Wenzel Hanka befand die böhmisch-slawische Kultur als zu jung und „entdeckte” daher 1817 das „Kralov-Dvur-Manuskript” (Königinhofer Handschrift); erst im kriminaltechnischen Labor der Prager Polizei konnte die Fälschung nachgewiesen werden. Herder und andere Romantiker übernahmen jedoch zunächst diese Handschriften als Belege ihrer Vermutungen. Andere Vertreter dieses Slawismus waren Georg Samuel Bandtke (1768_1835), Johann Kollar (1793-1852), Paul Josef Schafarik (1795-1861) und Franz Palacki (1798-1876). Im Bereich der sogenannten Südslawen entwickelte sich ein Illyrismus. Vielfach entwickelte der Panslawismus imperiale Zielrichtungen, vor allem wurde er auch von Rußland bzw. der Sowjetunion genutzt. Auf dem Allslawenkongreß 1848 in Prag wurde Völkerhaß dieser Art gepredigt (Liedtext): „Brüder, Sensen in die Hände!... Unser Feind, der Deutsche, falle! Plündert, raubet, senget, brennet! Laßt die Feinde qualvoll sterben. Wer die deutschen Hunde hänget, wird sich Gottes Lohn erwerben. Ich, der Probst, verspreche euch fest dafür das Himmelsreich..."

 

Siedlungsforschung

Der Siedlungsforscher Dr. Dr. Bromme wandte sich den Zusammenhängen zwischen Wirtschaftssystem und Christianisierung zu. Dabei konnte er feststellen, daß in unseren Breiten die ortsfesten Siedlungen erst nach der Eiszeit und nur auf den fruchtbaren Lößböden und Verwitterungsböden des Zechsteins und Muschelkalks entstanden und anzutreffen sind. Der Anbau von Getreide erfolgte von der Jungsteinzeit bis etwa zum Jahr 1000 mit derFeldgraswirtschaft, die durchschnittlich zwei bis drei Getreideernten ermöglicht und dann eine 15 bis 20 Jahre dauernde Brache erfordert. Für die Ackernahrung einer Familie mit Gesinde von etwa 14 Personen brauchte man etwa 100 ha (1 qkm). Klimaverbesserungen ermöglichten die Siedlungsausdehnung nach Norden und in höhere Lagen; Klimaverschlechterungen schränkten die Anbaumöglichkeiten und den Lebensraum ein und hatten die Abwanderung, vor allem des Bevölkerungsüberschusses zur Folge. So verließen die Vorfahren der heutigen Inder, der Griechen und Italiker, 113 v.u.Z. die Kimbern, Teutonen und Ambronen ihre Wohnsitze, später dann Sueben, Wandalen, Burgunder und Goten. Wie noch am Beispiel der Wandalen deutlich wird, verließen aber nur Teile der Familien und der Völker Haus und Hof, die anderen blieben, soweit nicht Naturkatastrophen (Sturmfluten u. a.) den Lebensraum völlig vernichteten. Im 8. Jh. ist die Dreifelderwirtschaft im Merowinger Reich nachweisbar. Sie beruht auf planmäßiger Düngung, die Viehhaltung wird auf Stallhaltung umgestellt, wobei das Winterfutter auf Wiesen gewonnen wird. Die Bodenfruchtbarkeit wird durch den Wechsel Winterung (Roggen, Weizen) - Sommerung (Gerste, Hafer) - Brache erhalten. Als Ackernahrung reichen so 15 ha Land aus, der Bevölkerungsüberschuß konnte längere Zeit im gleichen Raum ernährt werden. Im 10. Jh. ist die Dreifelderwirtschaft bis zur Elbe und Saale sowie dem westlichen Böhmerwald vorgedrungen. Die Bekehrungskriege verhindern die weitere Wirtschaftsumstellung, so daß die Dreifelderwirtschaft erst im 13. Jh. in Preußen, dem Baltikum, Schlesien und Polen sowie Rußland eingeführt wird. Zu den Zeiten der vermuteten Einsickerung der „Slawen” herrschte die Feldgraswirtschaft vom Atlantik bis zum Ural. Alle auf dieser Wirtschaftsgrundlage besiedelten Landstriche waren vollbevölkert. Die von Osten ankommenden „Slawen” hätten also über ein besseres Wirtschaftssystem zur Ernährung von mehr Menschen auf gleichem Raum verfügen müssen oder hätten nur mit Krieg und Kampf Gebiete besiedeln können. Doch beides war nicht der Fall, zeitgenössische Berichte darüber finden sich nicht.

 

Glagolica

Entscheidend für das „Slawentum” ist also die gemeinsame Sprache. Am Anfang der slawischen Sprachen finden wir zwei Mönche, die Brüder Cyrillos (geb. 826, gest. 14. 2. 869) und Methodios (geb. 815, gest. 6. 4. 885). Beide stammten aus Saloniki und erfreuten sich durch ihre Gelehrsamkeit unter dem griechischen Kaiser Michael III. besonderen Ansehens. Cyrillos stellte aus 24 griechischen und 14 armenischen, hebräischen sowie koptischen Buchstaben ein Alphabet zusammen und formte in Anpassung an die griechische Minuskel eine neue, die nach ihm benannte kyrillische Schrift. Darauf aufbauend und unter Heranziehung ihres heimatlichen Dialektes schufen die Brüder eine jederzeit nach Bedarf modifizierbare Kunstsprache, deren Anwendung in den Dienst der glagolitischen Mission gestellt werden konnte. Von ihrem Kaiser auf Ersuchen des mährischen Herzogs Rheinlieb, später glagolitisch Rastislaw genannt, 863 nach Mähren und Pannonien gesandt, modulierten sie Vokabeln der dortigen Mundarten in ihren noch ausbaubedürftigen Wortschatz. Der römische Papst Hadrian II. ließ sich von den Vorteilen einer eigenen Sprache in der Liturgie überzeugen und weihte die Mönche zu Bischöfen. In Mähren und Pannonien mißlang die Mission jedoch, nach Methodios Tod erschienen glagolitische Missionare auf dem Balkan und begaben sich in den Schutz der Bulgaren. Fürst Bo(go)ris hatte 864 den Übertritt seines Volkes zum Christentum vollzogen, befand sich aber in Kämpfen mit den Griechen. Er ließ sich von den Vorteilen einer eigenen Liturgie überzeugen und schloß die bulgarische Kirche der glagolitischen Liturgie an. Unter Bogoris jüngstem Sohn Simeon wurde dessen Lieblingsschriftsteller Johannes Chrysostomos ins Kirchenglagolitische übertragen. In den ersten Jahrzehnten des 10. Jh. entstand der Hauptteil der kirchenglagolitischen Literatur, das sogenannte Altbulgarische, später „altslawisch” genannt. Die glagolitische Mission gewann das Vertrauen der chorwatischen (kroatischen) Fürsten; dort mußte 885 die römische der glagolitischen Liturgie weichen. Der Adel erlernte die neue Sprache. Nach einer vorübergehenden Verbotszeit während des 10. und 11. Jh. im kroatischen Nord-Adria-Raum, wurde der Glagolismus 1248 von Papst Innozenz IV. wieder durchgesetzt. Schrittweise erfolgte eine Angleichung an die Volkssprache, die selbst durch Metathesen (Buchstabenumstellungen), besonders nach dem Trienter Konzil (1545-1563), zunehmend verformt wurde. Die Glagolica mit ihren altbulgarischen und altkroatischen Urkunden, bildete die Grundlage für die politisch-sprachliche Mission in Osteuropa. Im Jahr 1000 gründeten Glagolitenmönche das Kloster Sazawa in Böhmen. Bulgarische Glagolitenmönche führten unter Waldemar von Känugard (980-1015) ihre Kirchensprache innerhalb des Kiewer Reiches ein und schufen die Grundlagen für die Kunstsprachen Polnisch und Russisch. Die Sprachenspaltung und Mundartbildung wurde durch die Berufung der Glagolitenmönche nach Prag (1347) und Krakau (1390) weiter gefördert. Johann Hus (1415 auf Befehl Roms verbrannt) förderte als Gegner der römisch-katholischen Reichskirche und ihres Ablaßhandels die glagolitische Kunstsprache, um die Trennung vom Lateinischen zu verstärken. Er ließ die Metathesen verstärken und führte in seinen religiösen Schriften die diakritischen Zeichen ein. Der hussitische Nationalkönig Podiebrad (Georgvon Kuhnstadt) führte das glagolitische Czechisch in Schlesien vorübergehend ein; glagolitische Mönche brachten es bis ins Elbegebiet. Sprachreste aus dieser Zeit finden sich u. a. noch in der Lausitz, im Spreewald und in den Hannoverschen Wendlanden. In Prag selbst finden sich erste Zeugnisse einer czechischen Sprache 1435 in den Niederschriften der Malerzeche. Die slowakische Schriftsprache wurde erst durch den Franziskaner Hugo Gaviowitsch (1762-1813) aus einem glagolitisch beeinflußten Randdialekt entwickelt. In Polen wurde noch unter König Jagel (Jagiello) weder im amtlichen Verkehr noch in der Literatur die polnische Sprache gebraucht; 1501 bei Johann von Ostrorog heißt es: „Wer in Polen leben will, soll polnisch lernen!” Im 16. Jh. wird die Bevölkerung mit allen Mitteln der Gewalt, mit Enteignung des Besitzes, Vertreibung und Mord gezwungen, die polnisch-glagolitische Sprache anzunehmen. Viele polnische Worte lassen noch die ursprünglich einheimische germanische Sprache erkennen (wohlgemerkt die Bevölkerung hat sich nicht gewandelt!): garbarz=Gerber; malarz=Maler; slusarz=Schlosser; glattki=glatt; krotki=kurz; uregulowac=regeln; falszowac=fälschen; ratusz=Rathaus usw. Geändert wurden auch die Familiennamen. Der Adel begnügte sich anfänglich mit polnisch-glagolitischen Beinamen, so z.B. die Herren von Gleißen, aus denen solche von Gleißen-Doregowski (Döringsdorf) wurden. Teilweise wurde der ursprünglichen Namensform eine polnische Endung (Latzke zu Latzkowski) angefügt. Als im 15. Jh. die Familiennamen mit der Endung „ki” oder „i” versehen wurden, übernahmen die Kaschuben den Brauch der Doppelnamen, z.B. Szady-Borzyskowski. Die Vorgehensweise der glagolitischen Sprachveränderer läßt sich an der Entstehungsgeschichte des „Vaterunsers” in den slawischen Sprachen verfolgen. Im Hannoverschen Wendland ist das polabische Vaterunser verbreitet. Es enthält für den Begriff „Reich” das altsächsische Wort „rike", das sich von gotisch „reike” ableitet. In abgewandelter Form entstammen andere Worte dem Heliand (Vers 1600 ff.), der 825/830 entstand, z.B.: „Nosse wader...tia rik komma, tia willia schinyot". Im Obersorbischen findet sich aber das Wort „kralestwo", im Mährischen „kralowstwi", im Polnischen „krolestwo", im Masurischen und im Kaschubischen „krolestwo", während eine alte Version des 11. Jh. in russischer Mundart und kyrillischen Zeichen des 10. Jh. den Begriff „Zässarjstwije” dafür hat. Neuere russische Versionen enthalten dafür das Wort „Zarjstwije” oder „Zarjstwo", im südslawischen Sprachbereich findet sich der Begriff „carstvije", im serbokroatischen Bereich wieder „kraljestvo". Die Begriffe für Reich aus den Zusammensetzungen mit „kral” und „krol” sowie Endungen der Art „-(e)stwo/stwije” sind vom deutschen Vornamen Karl abgeleitet. In der Orientierung auf die Obrigkeit hin wurde der Vorname des Franken Karl für die Kunstsprache ausgewählt und daraus der Königstitel „kral/krol” gemacht. Durch Metathese des „r” entstand aus Karl „kral” und durch Vokalwechsel von „a” zu „o” „krol". Vaterunser dieser Art sind also nach der Regierungszeit Karls (768-814)entstanden. Die Begriffe mit „Zässarj” und „Zarj” sowie den entwähnten Endungen sind wiederum Ableitungen aus Herrschertiteln, die in diesem Fall Zar Simeon von Bulgarien (884-927) und ab Ende des 15. Jh. die russischen Zaren (Iwan III.) führten. Besonders Zar Simeon war ein Förderer der Glagoliten. Aus den drei Versionen des slawischen Vaterunsers mit drei verschiedenen Wörtern für den Begriff „Reich” kann nur geschlossen werden, daß es erst entstehen konnte, nachdem die entsprechenden Herrscher (Karl bzw. Simeon) regierten bzw. der Heliand entstanden war. Eine urslawische Sprache, postuliert von Slawophilen für die Zeit von 400 v. bis 400 n.u.Z., im Zusammenhang mit einem Ursprungsvolk beinhaltete ein gemeinsames Stammwort oder durch die Nachbarschaft mit den Goten, wie von Slawophilen angenommen, eine Entlehnung aus der gotischen Sprache (Wulfila-Vaterunser: Deutnis/Deutgard). Dieses fand jedoch nicht statt, weil es ein slawisches Volk nicht gibt und die Kunstsprache der Glagoliten erst in der zweiten Hälfte des 9. Jh. erfunden wurde. Sie mußte dann erst Teilen der Germanen aufgedrängt werden, um diese ihren Gesippen zu entfremden.

Von Rußland wurde aus politischen Gründen der Zusammenschluß der „illyrischen” Völker (Slowaken, Kroaten, Serben, Slowenen) gefördert, Wien verbot 1843 den Begriff „illyrisch” als Kennzeichen ausschließlich politischer Betätigung und so übernahm die panslawistische Bewegung diesen Raum als „südslawisch". Josef Karasek schreibt in seiner „Slawischen Literaturgeschichte” (Leipzig 1906): „Diese kirchenslawische Sprache diente den orthodoxen Slawen einerseits zum Heile, andererseits zum Unglücke. Sie hatte nämlich den Vorteil, daß die in ihr niedergelegten Geistesprodukte sofort allen verwandten Literaturen zugänglich wurden, diese also um Jahrhunderte früher auftraten als die Nordslawen, welche unter dem Einflusse der abendländischen Kultur standen, wie die Polen. Zum Unheil wurde sie ihnen aber, da diese künstliche Sprache, deren sich besonders die Mönche und Priester zum Schreiben bedienten, wie eine starre Schneedecke auf der Literatur lag".

Diese oktroyierten Amts- und Schriftsprachen erfuhren im Verlauf ihres Gebrauchs mit der Zeit eine Verlebendigung und eine Ausbildung nach stammesmäßigen Eigenarten. Dadurch wurden jedoch Stämme eines Volkes in Europa getrennt und gegeneinander ausgespielt; es entstand ein sprachlicher und pseudonationaler Gegensatz zwischen Deutschen und Slawen. Dem Panslawismus, entstanden aus irriger Geschichtsbetrachtung, wurde in Deutschland ein vermeintlicher Germanismus entgegengesetzt, beide mit chauvinistischer Zielsetzung. Die Glagolica mit ihrem Vokabular voller priesterlich-diskreter Zischlaute hatte also scheinbar unüberbrückbare Unterschiede geschaffen. Im Osten Midgards sprachen nach Jahrhunderten die Menschen anders als ihre Brüder in Mitteleuropa, eine zunehmende Entfremdung führte zu Eifersucht, Rivalität und offener Feindschaft. Nicht nur die Sprache, auch die Schrift sollte trennen, aus der Glagolica wurde die Cyrilliza. 1990 schaffte jedoch die Moldauische SSR, jetzt wieder Moldawa, die cyrillische Kunstschrift ab, vielleicht befreien sich auch die anderen Stämme Osteuropas davon. Wer nicht glauben will, daß eine Zwangsmissionierung mit Feuer und Schwert in ihrem imperialistischen Kampf um Völker und Seelen zum Zwecke des „Teile und herrsche” eine Fremdsprache und Schrift einführen kann, der sei an Beispiele aus jüngsterVergangenheit erinnert. 1928 ordnete das türkische Gesetz über die Schriftreform die Abschaffung der arabischen Schrift und die Einführung der lateinischen Buchstaben an. Diesem Gesetz ging die Empfehlung des turkologischen Kongresses von 1926 in Baku voraus, an allen Schulen der Tartaren und Türken die lateinische Schrift, weil sie der türkischen Lautstruktur besser gerecht wird, einzuführen. 1928 wechselten daraufhin Turkmenen, Tadschiken, Usbeken, Kirgisen und Kasachen die Schrift; Stalin empfand diesen Panturkismus als gefährlich und ordnete 1937 die Einführung der cyrillischen Schrift bei den sowjetischen Turkvölkern an. So lernten diese Völker innerhalb von 10 Jahren drei Reihen von Schriftzeichen. So wie diesen Völkern blieb auch Jahrhunderte früher den glagolisierten Völkern nichts anderes als ein Sprach- und Schriftwechsel übrig, wenn sie von Klerus und Adel, die die Macht hatten, verstanden werden wollten. Einen Sprachwechsel kann man auch in Elsaß-Lothringen vom Deutschen zum Französischen oder im Südteil Südtirols zum Italienischen (Bozen) beobachten. Hier reichte das Verbannen der deutschen Sprache aus Schulen und Kindergärten, aus Amtsstuben und Zeitungen. Noch rücksichtsloser und daher noch erfolgreicher wurde den Millionen in Osteuropa und Ostdeutschland zurückgebliebenen Deutschen ihre Sprache genommen, bei vielen Übersiedlern der Gegenwart ist das Verkümmern, zum Teil das vollständige Fehlen der Muttersprache, festzustellen. In ähnlicher Weise fand die Slawisierung der Ostgermanen und anderer verwandter Völker Osteuropas statt. Nur den Magyaren und den Rumänen gelang es, ihre Sprache zu behalten.Vor allem der rumänische Metropolit Putneanul, Vorsteher des Klosters Putna, verhinderte im 18. Jh. unter türkischer Herrschaft und gegen stärkste griechische und glagolitische Einflüsse durch energische Gegenmaßnahmen, daß der rumänischen Kirche und dem rumänischen Volk die glagolitische Kunstsprache aufgezwungen wurde, und es so zum Slawenvolk hätte werden können. Es behielt seine dacisch-lateinische Sprache.

 

Deutsche und Sklaven

Heutzutage werden häufig die Zuordnungen „germanisch” und „deutsch” wie schon zu Zeiten Herders verwechselt. Um das Jahr 800 finden sich in weiten Gebieten Europas die verschiedenen Germanenstämme. Der Staat im westlichen Mitteleuropa aber ist das karolingische Großreich als „Heiliges Römisches Reich” (deutscher Nation), zu dem es sich in der zweiten Hälfte des 9. Jh. entwickelt hatte. Hier herrschte die lateinische Kirchen- und Gelehrtensprache und aus der fränkischen Oberschicht entwickelte sich der neue Sammelbegriff „deutsch". Eine deutsche Volkssprache, die „theodisca lingua” entstand. Ihr und dem Latein standen im heidnischen Raum östlich von Elbe und Saale mehrere einander ähnliche germanische Mundarten gegenüber, von den lateinisch schreibenden Chronisten des Mittelalters als „sclavica lingua” bezeichnet. Es handelte sich also nicht um eine volkstumsmäßige Unterscheidung, sondern ausschließlich um eine glaubensmäßige, die zu jahrhundertelangen Kämpfen im Gebiet von Elbe, Saale und Böhmerwald und mit fortschreitenden Erfolgen der blutigen Mission weiter östlich führten. Die heidnischen Bewohner heißen in den Chroniken „Sclavi” und ihr Land „Sclavania". Adamus Bremensis schreibt in seiner „Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum (et Scholast)” (II 18): „Sklavanien also, eine sehr ausgedehnte Landschaft Germaniens, wird von den Winulern bewohnt, welche einst Wandalen hießen. Es soll zehnmal so groß sein wie unser Sachsen, zumal wenn man Böhmen und die jenseits der Oder wohnenden Polanen, da sie weder im Äußeren, noch in der Sprache von jenen sich unterscheiden, mit zu Sklavanien rechnet". Der Hintergrund für die Bezeichnung des Landes der Wenden, aber auch der Venether, Polanen und Winuler als „Sclavanien” ist leicht bei richtiger Übertragung des Begriffes „Sclaveni” als Sklaven erkennbar. Das „c” im Namen ging dann, wie oben gesagt, später im Plattdeutschen, aber auch im Englischen („slaves") verloren, im ostgermanischen Bereich wurde später das „c” wie ein „z” gesprochen, wodurch daraus „Szlaveni” und „Slave” wurde. Fredegar Scholasticus schreibt in der Historia francorum (I, 48): „Im 40. Jahr verband sich ein gewisser Samo, ein geborener Franke aus dem senonagischen Gau, mit mehreren Kaufleuten und zog in Handelsgeschäften zu den Sklaven, die man Wineder nennt. Die Sklaven hatten damals bereits angefangen, gegen die Avaren, die den Beinamen Chunen führen, und deren König Gagan sich zu empören. Schon von alten Zeiten her wurden die Wenden von den Chunen als sogenannte Befulci gebraucht, so daß, wenn die Chunen gegen irgend ein Volk ins Feld zogen, sie selbst sich vor dem Lager aufstellten, die Wenden aber kämpfen mußten... Jedes Jahr kamen die Chunen zu den Sklaven, um bei ihnen zu überwintern; dann nahmen sie die Weiber und Töchter der Sklaven und schliefen bei ihnen, und zu den übrigen Mißhandlungen mußten die Sklaven den Chunen noch Abgaben zahlen... Wie nun das wendische Heer gegen die Chunen auszog, so begleitete jener Handelsmann Samo dasselbe". Paulus Diaconus schreibt in der Historia Langobardorum (I, 1): „Daher kommt es, daß so große Völkermassen im Norden geboren werden, und nicht mit Unrecht wird jener ganze Landstrich vom Tanais (Dnjepr) bis zum Sonnenuntergang mit dem allgemeinen Namen Germania bezeichnet, wenn auch einzelne Gegenden wieder ihre besonderen Benennungen haben... Aus diesem volkreichen Germanien nun werden oftmals zahllose Scharen Gefangener fortgeführt und an die südlichen Völker verkauft". Bekehrungskämpfe und Menschenhandel wirkten so fürchterlich auf die Bevölkerung, daß Helmold von Bosau 1171 schreiben konnte (2, 14): „Denn das ganze Gebiet der Sklaven, welches an der Eider, wo die Grenze des Dänenreiches ist, beginnt, und sich zwischen dem Baltischen Meere und der Elbe hin durch weite Länderstrecken bis nach Schwerin ausdehnt, dies Gebiet, das einst durch räuberische Anfälle unsicher und öde gemacht war, ist jetzt durch Gottes Gnade gleichsam eine große Ansiedlung der Sachsen geworden, in der Städte und Dörfer erbaut werden, und die Zahl der Kirchen und Diener Christi zunimmt". Seit dem Codex Justininanus 529/534 und dem 3. Konzil von Orleans 538 war es nicht christlichen Menschenhändlern und später auch Christen verboten, Christen zu Sklaven zu machen oder solche zu halten, daher griff man wiederum auf die Heiden, die vordem schon von den Awaren entsprechend unterdrückt worden waren, zurück. Hamburg, die frühere Hammaburg, kann auf eine solche Vergangenheit als Sklavenhändlermetropole zurückblicken. Auf Kriegs- und Raubzügen gefangene Dänen, selbst christianisierte „Abodriten” aus Ostholstein und selbstverständlich heidnische Sklaven wurden von dort exportiert. Ansgar konnte seine Schule nur füllen, indem er den Händlern junge Sklaven abkaufte und sie in das Priesterseminar steckte. Im Jahre 845 erschienen Landsleute der Zwangsgetauften und -verkauften: Wikinger plünderten und verbrannten Burg und Hafen. Aus ähnlichen Anlässen erfolgten Verheerungen der Burg durch die Sklaven in den Jahren 915/916, 983, 1066 und 1072. Die gefangenen Sklaven wurden u. a. nach Südfrankreich oder über die Alpen bei Völkermarkt und Klagenfurt gebracht. Die „Sclavi"-Germanen waren durchaus friedlich und wurden erst dann kriegerisch, als die vordringende Zwangschristianisierung ihren Frieden störte, indem sie die Verschleppung der Menschen als Sklaven, die Zerstörung der Heiligtümer, die Abgabe eines Zehnten nicht nur zuließ, sondern auch noch förderte. Papst Zacharias antwortet Bonifatius auf dessen Anfrage: „Und dann hast du wegen der Sklavi gefragt, die im Lande der Christen wohnen, Bruder, ob es angebracht ist, Zins von ihnen zu nehmen. In dieser Hinsicht kann ich noch keinen Rat geben, bis der Grund der Sache klar ist. Wenn sie nämlich ohne Tribut dort sitzen, werden sie irgend einmal ein eigenes Land schaffen; wenn sie aber Tribut geben, werden sie wissen, daß das Land einen Herren hat". Thietmar von Merseburg macht den religiösen Hintergrund dieser Kämpfe christlicher und heidnischer Germanen deutlich, wenn er berichtet, wie heidnische Abodriten unter Mistui bis nach Hamburg und darüber hinaus vordrangen, während eine goldene Hand in die Feuersbrunst der zerstörten Stadt greift und die Reliquien in die Höhe entführt. Schrecken hätte die Feinde erfaßt und Mistui, mit Weihwasser besprengt, hätte gerufen „St. Laurentius verbrennt mich!” Die Heiden wären weiter nach Westen bis zu einem linken Nebenfluß der Elbe, der Tanger, mehr als 30 Heerscharen zu Fuß und zu Roß stark unter dem Zeichen ihrer Götter und dem Schall der vorangetragenen Luren vorgedrungen, um alles zu verwüsten. Der Heidenaufstand wird durch die weltlichen Herren, den Bischof von Halberstadt und den Erzbischof von Magdeburg niedergeschlagen, Thietmar sagt: „Verlassen sahen sich jetzt die vorher Gott zu schmähen sich erfrecht, und ihrer Torheit Bilder, das eitle Werk ihrer Hände, ihrem Schöpfer vorgezogen hatten". Immer wird nur der religiöse Unterschied, nie ein, eben auch nicht bestehender volksmäßiger Unterschied betont. Eine deutliche Sprache spricht das Ratzeburger Zehntenregister von 1230, das Orte in Lauenburg und den von ihnen zu erlegenden Zehnten nennt. Nur wo die Bekehrung der Heiden noch nicht abgeschlossen war, konnten die Kirchensteuern nicht eingezogen werden. In der Urkunde heißt es: „Sclavi sunt nullum beneficium est". Auffällig ist in diesen Kämpfen, daß alle Bewohner und Kämpfer der betroffenen Gebiete sich mühelos untereinander verständigen können und sich auch ihr Brauchtum ähnelt. Die Armeen und ihre Anführer tragen noch keine fremdartigen „slawischen” Namen, erst durch den Einfluß der Mission werden nach jahrhundertelangen Kämpfen die Menschen durch Aufzwingung von Kunstsprachen voneinander entfremdet.

 

Vandalen und Wenden

Schon Cornelius Tacitus schreibt in „De origine et situ Germanorum liber” (1 f.): „Germanien insgesamt wird von den Galliern, Rätern und Pannoniern durch den Rhein- und Donaustrom, den Sarmaten und Daciern durch wechselseitige Furcht oder durch Gebirge geschieden. Das übrige umgrenzt der Ozean... Die Germanen selbst möchte ich für Ureinwohner halten... Marser, Gambrivier, Sueben und Vandalen, und das seien die wahren alten Namen. Dagegen sei der Name Germanien neu und erst unlängst hinzugekommen". (Kap. 46): „Die Venether haben sich auch von ihren Sitten (Anm.: Peuciner am Donaudelta und die Fennen/Finnen) vieles angeeignet; ...jedoch werden sie besser noch zu den Germanen gezählt". Cosmas von Prag schreibt dazu in der „Chronica Boemorum” (lib. I. 1.): „Wenn auch in jenem nördlichen Gebiet zwischen Don und Occident allenthalben einzelne Gegenden einen besonderen Namen tragen, wird diese Region in ihrer Gesamtheit dennoch Germanien genannt", auch Böhmen und die Elbe werden germanisches Gebiet genannt. Ionae sagt in seiner „Vitae sanctorum Columbani” (27): „Einmal kam es ihm auch in den Sinn, nach dem Lande der Wenden, die man auch Sklaven nennt, zu ziehen". Diese Verbindung von Wenden und Sclaven/Slaven, der man sehr oft begegnet, wird durch eine Textstelle von Helmoldi presbyteri Bozoviensis (Helmold von Bosau, einem Ort nahe des Plöner Sees) in der „Chronica Sclavorum et Venedorum” (2), auch als „Conversio Sclavicae gentis...” (Bekehrung der heidnischen Stämme) bezeichnet, veranschaulicht: „Wo also Polen endet, kommt man zu einem sehr ausgedehnten sklavischen Lande, nämlich zu denen, die vor alters Vandalen, jetzt aber Wenden oder Winuler genannt werden. Die ersten derselben sind die Pommern (Anm.: Pomerani=Meeresanwohner)". Diesen Zusammenhang bestätigt auch Sebastian Münster (geb. Ingelheim 1488, gest. Basel 1552) in seiner „Cosmographia universalis", Basel 1544: „Vandalen, wo man jetzt Wenden nennt, haben vorzeitig gewohnt bei dem Mittnächtigen Meer (Anm.: Ostsee) und sind ganz mächtig gewesen, aber nachmals sind sie von den Sachsen gedempt (Anm.: gezähmt, bezwungen mit Feuer und Schwert) worden und zu einem guten Teil hinder sich vom Meer getrieben, wie sie dann noch ein Ländlein (Anm.: Grafschaften Lüchow und Dannenberg, die Hannoverschen Wendlande zwischen Jätze und Elbe) innehaben - und die Wenden genannt werden". Die Vandalen stammen aus Südskandinavien (Landschafts- und Ortsnamen wie Vendel, Vindeln, Vendelsö, Vendelsby) und gelangten von dort über Dänemark (Vendsyssel, d.i. die Landschaft „Wendensitz") nach Mitteleuropa. Ihr Name leitet sich von germanisch „vandjan"=wenden, althochdeutsch „wantalon"=wandern, d.h. die Unsteten, Wandernden=die Wendischen ab. Später entstanden daraus die Namensbildungen Wandale, Wendele, Wende und Wendelin (kleiner Vandale). Die Vandalen werden zur Kultgemeinschaft der Lugier oder Lausitzer gezählt. Im 2. Jh. n.u.Z. erfolgte die Südostwanderung der Vandalen und Burgunden in den Raum zwischen Oder und Weichsel. Um 100 v.u.Z. siedelte sich der vandalische Stamm der Silinger, daher der Name Schlesien, um den Zobten herum an. Die Vandalen siedelten also von der Ostsee, im Nordosten bis in den Raum von Wilna wie Grabfunde belegen, bis nach Galizien. Andere germanische Stämme wie Goten und Gepiden siedelten um die Zeitenwende sogar im Gebiet des Schwarzen Meeres. Um 400 zog ein Teil des Stammes zusammen mit den Alanen weiter bis nach Nordafrika, aber Ammianus Marcellinus erwähnt die zurückgebliebenen Vandalen. Procop schreibt in „De bello Vandalico” (I, 22) über eine Gesandtschaft aus den alten Wohnsitzen der Vandalen: „Als der Hunger die Vandalen zwang, aus den alten Wohnsitzen ihres Stammes zwischen der Oder und der Weichsel auszuwandern, wollte doch eine große Anzahl von ihnen aus Trägheit der Mahnung Godegisels nicht folgen. Im Laufe der Zeit aber brachte der Boden wieder reichlich Nahrung für sie hervor und sie fühlten sich ganz behaglich in ihrer Heimat... Aber da sie besorgten, daß doch wohl einmal, wenn auch nicht diese ihre Stammesgenossen, so doch die Abkömmlinge derselben aus Afrika vertrieben in ihre alte Heimat zurückkehren möchten, schickten sie Gesandte an den König Genserich. Als dieser sie vorließ... stellten dann ihre Bitte, daß doch jetzt Genserich und die Seinen, die wohl niemals daran dächten, in ihr altes Stammland heimzukehren, alle ihre Ansprüche daraus ihnen feierlich abtreten möchten, damit im Falle ein Feind sie daraus vertreiben wollte, sie wüßten, wofür sie kämpften und für ihr Eigentum zu sterben sich nicht scheuten. Diese Forderung schien Genserich und den anderen Vandalen billig und recht zu sein, und sie waren schon bereit, sie den Gesandten zu bewilligen, als ein Greis auftrat, ehrwürdig durch die Weisheit seiner Ratschläge und durch seinen Rang unter den Vandalen. Dieser sprach: „Auf festem Grunde steht kein menschliches Werk, für die Zukunft ist von dem Bestehenden nichts sicher, in der Zukunft ist nichts unmöglich. Darum ist mein Rat, daß wir der Bitte unserer Stammesgenossen nicht nachgeben„. Das leuchtete auch dem König Genserich ein und darum entließ er die Gesandtschaft, ohne ihre Bitte zu gewähren". So blieben also Vandalen in den alten Stammesgebieten zurück. Später schreibt Einhard in den Alemannischen Annalen, daß Kaiser Karl einen Kriegszug gegen die „sclavi in das Land der Vandalen” unternahm und bestätigt damit wiederum, daß „sclavi” die Bezeichnung für Heiden war, der jeweils noch die genauere Stammes- oder Ortsbezeichnung beigefügt wurde.

 

Mittelalterliche Quellen

Der schon genannte Helmold, auch als Hel(e)mbold von Bosau oder Bützow bekannt, wird in der „Genealogia” von Dr. W. Jobst, Frankfurt/Oder 1562, die selbst Königstabellen (Seite E iij) der Wendischen Könige, einige regierten noch zu Lebzeiten von Helmold, enthält, als „Wendische Chronica” (23. Quellenangabe im Catalogus der Scribenten) benutzt. Christian Gottlieb Jöcher bestätigt ausführlicher in seinem Werk „Allgemeines Gelehrten-Lexicon", Leipzig auf Seite 1470-1471 den genauen Titel von Helmolds Werk: „Chronicon Sclavorum & Venedorum", worin die Bekehrung der Sachsen zum christlichen Glauben in lateinischer Sprache niedergeschrieben sei. Helmold behandelt den Zeitraum von 785 bis 1168 unter dem Titel „Cronycon Venedorum” (Wendengeschichte), sein Werk wird von Abt Arnoldo von St. Johannis in Lübeck (gest.27. 6. 1211 oder 1214) unter Erweiterung des Titels zu „Chronicon Sclavorum & Venedorum” bis zum Jahre 1211 fortgesetzt. Im Gegensatz zu späteren Abschriften wie z.B. derjenigen aus der Handschriftenabteilung der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen (14. bis 16. Jh.), handelt es sich bei der eigentlichen Helmoldschrift um eine Buchrolle (libervolumen). Um 1472 fertigt ein unbekannter Presbytero bremensis eine Handabschrift mit dem Titel „Chronicon Holtsatiae” an. 1556 ändert der Abschreiber Dr. Sigismund Schorkel aus Naumburg den Titel zu „Chronica Slavorum” und läßt das Werk so bei Peter Brubach, Frankfurt/M. drucken, der Titel wird entsprechend von Heinrich Bangert, Lübeck 1659 übernommen und um Abschriften aus einer Helmoldschrift, die im Auftrage der schwedischen, zum Katholizismus übergetretenen Königin Christine (Tochter Gustav Adolfs) angefertigt wurde, ergänzt. Weitere Bearbeiter, Joan Vitodurano, Reineccius und Johann Moller (1661-1725) stellen sich ein. Am bekanntesten ist wohl der Historiker B. W. Wattenbach, der 1888 für die Reihe „Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit” das ihn störende „c” in „Sclavi” und „Sclavania” wegläßt und dieses auch im Vorwort kundtut. Der spätere Übersetzer B. Schmeidler folgt 1909 diesem Beispiel. Der nachfolgend erwähnte Albert Crantz zitiert den Urtitel des Helmoldschen Werkes und die Aufführung der wendischen Stämme (Lib. II, Kap. 21, S. 55) der Rugen, Wagern, Polaben, Circipaner, Lutitzer, Pommerer und Polanen. Schließlich sagt er: „Diese Worte seind gantz und gar zur sterkung der Wahrheit aus Helmoldo hieher gesetzet/dz man dieselbe deto eigentlicher könte sehen". Crantz zitiert Helmold in Lib. II, S. 52 und Lib. III, S. 99 wörtlich und schreibt: „dies sein alle Helmoldi Wort". Die „Chronica der Alten Mark” von M. Christophorum Entzelt von Saluelt (Salfeld), Pfarrherr zu Osterburg, Magdeburg 1579, beschreibt, wie lange die Wenden schon in ostelbischen Landen ansäßig sind. Die Veneti werden darin als „Sclauen", also als zu bekehrende Heiden bezeichnet.

1519 erscheint die lateinisch geschriebene „Vandalia” des Hamburger Kirchenkanonikers, Lübischen Gesandten und Rektors der Universität Rostock Albert Crantz (geb. Hamburg 1448, gest. Hamburg 7.12.1517), die 1600/1601 als „Wandaliae Crantzii oder Wendischer Geschichte Beschreibung” vom Lübecker Buchhändler Laurentz Albrecht in deutscher Sprache auf etwa 530 großformatigen Seiten herausgegeben wird. In der Übertragung hat sich der Name Vandalen wie so oft in Wenden, die als Sclaveni, also als Heiden charakterisiert werden, verwandelt. Auf Seite 227 der deutschen Ausgabe steht: „Denn ob wol der grund und boden Wendisch / ist doch der Wendische Namen bey ihren Einkömmlingen / den Sachsen dermassen verhasset / daß sie in ihren Zunfften und Geselschafften keinen leiden / der nicht von teutschen Eltern geborn / ja es müssens diejenigen bei ihrem Eydt erhalten / die sie darein nemen. Woran der Wendischen Nation eine große Schmach beschiht / die ihres Vaterlandes verstossen / also in der irre leben und ihrer Geburts-Städte beraubt sein... Warum wolte man sich aber des Wendischen ursprungs schemen / da doch dieser völcker vorfahren so mechtige thaten in Franckreich / Hispanien un Africa verrichtet". Weiter schreibt Crantz: „Auch hieraus fühlen wir uns berechtigt, daß wir von Polen, Böhmen, Dalmatinern und Istrien als einem Volke lehren, welches unsere Vorfahren Sclavones, die Alten mit dem eigentlichen Namen Wandalen genannt haben". Im Register (Index) finden sich folgende Stichworte: „Rugiani Lubicam obsidentes ab Henrico Wandalo profigantur 68.5” (Die Rugianier, die Lübeck besetzt halten, werden von dem Wandalen Heinrich überwältigt), „Rugiani Wandalorum psotremi in Christum credunt 75.9” (Die Rugianier glauben als letzte der Wandalen an Christus), „Sclaui appelantur, qui ante Wandali, a Saxone 7.40” (Sclavi werden von Saxo genannt, die vorher Wandalen hießen), und „Slauorum nomini etymon Hebraum tribuitur 6.43” (Der Name Sclavi ist hebräischer Herkunft). Im Register der deutschsprachigen Ausgabe lesen wir: „Sclaven die vorhin Wenden / verthedigen Italien vor den Saracenen / sein ihres ursprungs Wenden / ihr nahmen Hebraisch / Sclaven sein heute aller verächtesten". Albert Crantz erwähnt auch noch, daß einige die Wandalen wegen ihres behenden (schnellen) Redens Winuler nennen.

An der Wende zum 17. Jh. verfaßt Johann Adolfi, genannt Neocorus, die „Chronik des Landes Dithmarschen". Darin stellt er die Abodriten mit den germanischen Stämmen der Wandalen, Kimbern und Herulen zusammen und verlegt ihren Ursprung nach Nordjütland: „den unlochbar, dat dat Norderdeel Juttlandes in negen Provintzen edder Vogdien underscheiden, unde gedehlet, als Wendesißel Vandalia, Himmersißel Cimmeria, dar Wiburg in ligt, Obesißel Obetria, dar Ahrhusen in, Heersißel Herulia, Umbricia, Salingia, Varinia Avarinia, Lorinia, Istalia, nemlich darumme, sintemall de Wandalen, Cimmeren, Obotriten, Herulen ..."

Nikolaus Marschalk (Nicolai Mareschalci Thurii), zwischen 1460 und 1470 zu Roßla/Thüringen geboren, studierte in Erfurt, war Professor in Wittenberg, Dozent in Rostock und herzoglicher Rat zu Schwerin, 1525 in Rostock gestorben, schreibt in „Annalium Herulorom ac Vandalorum” (Lib. VII), abgedruckt in „Monumenta inedita rerum Germanicarum praecipue Cimbrarum et Megapolensium” durch Ernst Joachim von Westphalen, Leipzig 1739 über die Vandalen im Zusammenhang mit den Herulern und wird von Elias Schedius (1615-1641), Poeta laureatus an den Universitäten Rostock und Königsberg, in der zweisprachigen Ausgabe ganz selbstverständlich mit Wenden übertragen. In diesen Annalen wird übrigens auch zwischen Vandalen/Wenden und Sclaveni unterschieden, obwohl beide nach Marschalk aus Schonen kommen. Derselbe Zusammenhang zwischen „wendisch” und „vandalisch” besteht auch auf den Kartenbezeichnungen der Hansa-Städte, deren Kern die wendischen Städte sind (Urbs Vandalica et Hanseatica = wendische/vandalische Niederlassungen der Hanse), zu denen die Städte Lüneburg, Hamburg, Lübeck, Wismar, Rostock und Stralsund laut Auskunft einer im Stadtmuseum von Lübeck sich findenden Übersicht von Walter Vogel (über Professor Steller) gehören. Auf der Rückseite der zu Anfang des 17. Jh. in Amsterdam gedruckten Lauremburgschen Karte wird Mecklenburg folgendermaßen beschrieben: „Es ist vor alten Zeiten ein Teil des Königreichs der Wenden gewesen und erstreckt sich längs dem Mare Balthico, oder dem Balthischen Meer, gränzet gegen Orient mit Pommern, gegen Occident beschleust es die Elbe, gegen Mittag liegt es an der Marck Brandenburg und gegen Mitternacht am Balthischen Meer. Die ersten Inwohner dieses Landes werden in den Historien Herili, Obotritae und mit einem Namen Vandali oder Wenden genennet. Das Land ist mit schönen wohlbebauten und voelckreichen Stätten gezieret". Landkarten bis zum 15. Jh. bezeichneten das Land zwischen Elbe und Weichsel, welches Chronisten zuvor als Sclavania (Heidenland) gekennzeichnet hatten, ganz selbstverständlich als Vandalia oder Wendenland, so die Karte von Claudius Clavus, Florenz 1467.

Die „Chronik der Mark Brandenburg” von 1598 des Ratsarchivars und Oberpfarrers von Strausberg Angelus (Engel), heute im Stadtarchiv Berlin-Spandau, berichtet auf Seite 63 vom „Großen Wendenaufstand” des Jahres 983 und verweist dabei ausdrücklich auf die „großen Vorfahren” der Wenden, „die Rom et Carthaginem erobert” hätten und auf „ihren König Genserich, den König der Vandalen".

Auch Friedrich II. von Preußen äußert sich zu der Frage im Abschnitt „Die Religion zur Zeit des Heidentums” in den „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg": „Jede Gegend besaß ihren eigenen Gott. Die Vandalen einen, der Triglaw hieß. Man findet noch eine Darstellung von ihm auf dem Harlungsberg bei Brandenburg. Er hatte drei Köpfe, die seine Herrschaft über Himmel, Erde und Unterwelt versinnbildlichten. Tacitus berichtet, daß die Germanen eine Anzahl weißer Pferde besaßen, aus deren Verhalten sie auf göttliche Wahrzeichen schlossen, und daß sie für die Trigla ein schwarzes Roß unterhielten, das ihnen den Willen der Götter kundtat". Auch Henri de Catt, Gesellschafter Friedrichs II., schreibt aus seinem Quartier bei den Lausitzer Sorbenwenden (29.9.1759): „Über die Sitten der Vandalen. - Die Mädchen sind eigenartig bekleidet: sie tragen ein Hemd, das ihnen bis auf die Schenkel geht, und einen Rock bis an die Knie. Die Röcke haben vorn einen Schlitz und an ihrem oberen Teil ein richtiges Schnürleibchen. Der Mann wirft eine schwarze Henne gegen die Tür seiner Schönen, um die Geister zu vertreiben". Schließlich beschreibt Friedrich II. die Landbevölkerung und Bauern Brandenburgs, Pommerns und der norddeutschen Lande südlich der mittleren Ostsee als Nachkommen „der Vandalen und anderer germanischer Völkerschaften"; die Kurfürsten Brandenburgs und Könige Preußens führen daher auch den Titel eines „Herzogs der Vandalen".

Als es in den dreißiger und vierziger Jahren in Deutschland wiederum, aus politischen Gründen, üblich wurde, eine Gleichsetzung von Wenden und Vandalen als völlig falsch zu kennzeichnen, denn man wollte ja untermauern, daß die Germanen, damals weitgehend mit den Deutschen gleichgesetzt, den Slawen bzw. Wenden überlegen waren, mußte dennoch auch der Fachbuchautor Obermüller (Die deutschen Stämme, Bielefeld 1941) bestätigen, daß Mecklenburg und Pommern, Sclawien/Slawien oder Wendenland, übersetzt auch Vandalorum ducatus oder ducatus Vandaliae genannt wurden. Die älteste Pommernkarte enthielte Vandalia als Gebietsbezeichnung. Die Dynastie der mecklenburgischen Herzöge, die im Mannesstamm bis in die wendische Vorzeit zurückreicht, empfand ihre Angehörigen schon früh als Fürsten der Wenden. Ein altes gotisches Lied in Runenschrift, welches bei einer Plünderung der Abtei Dobberan während des Dreißigjährigen Krieges aufgefunden wurde, erzählt in 30 Strophen von Anthyr, dem ältesten fabelhaften König der Vandalen und Heruler. Von ihm leitet Mecklenburg sein Wappen, den Ochsenkopf und den Greifen, ab. Er sei der Sohn einer scythischen Amazone (nach Jordanes sind Amazonen die Frauen eines Gotenstammes) und in Alexanders des Großen Heer ein berühmter Krieger gewesen. Nach dem Tode Alexanders verließ er Kleinasien auf einem Schiff, das Bucephalus (Ochsenkopf) genannt wurde, und das einen Ochsenkopf in der Flagge, am Vorderteil aber einen Greifen führte. In das atlantische Meer, von dort in die Nord- und Ostsee verschlagen, landete er in Mecklenburg und gründete dort mehrere Städte, vermählte sich darauf mit einer gotischen Prinzessin, Symbulla. Er zeugte mit ihr einen Sohn, Anana, der sein Nachfolger wurde, worauf er selbst aus den mythischen Geschichten des Landes verschwindet. Die Schriftzeichen des Anthyrliedes von 1620 könnten aus der in Runen geschriebenen, 1617 gedruckten „Historia de Gothorum Sveononumque regibus” (Johannes Magnus, Rom 1554) entnommen sein. Die Handschrift umfaßt sechs Blätter, in welcher auch einige Götter und Valhall genannt werden. Selbst die ausgestorbene mecklenburgische Rostocker Linie hatte sich „de Slavia” oder „de Sclavica” genannt. Am Hof der Pommernherzöge galt der Titel „Slavie dux” oder „de Wende hertoge". Der Titel der mecklenburgischen Herzöge lautete lateinisch „Princeps Vandalorum", wie sich auch die Könige von Schweden auf ihren Münzen als „Suecorum, Gothorum, Vandalorumque reges” bezeichneten. Bis in die Gegenwart führten schwedische Heerestruppenteile amtliche Bezeichnungen wie „Gotisches...” oder „Wendisches Infanterie-Regiment".

1128 wurde der dänische König Knut Laward vom deutschen König Lothar von Supplinburg zum König der Wenden gekrönt, welcher Titel in lateinischer Sprache heute noch als König der Vandalen geführt wird. Im Dom von Roskilde finden sich Grabplatten, die in lateinischer Sprache den Titel sämtlicher dänischer Könige von Christian I. (1448) bis einschließlich Frederik (1972) „König von Dänemark, Wenden und Gothen...” tragen, z. Bsp. auf dem Sarkophag von Frederik V.: „Fridericus V dei Gratia Rex Daniae, Norwegiae Vandalorum, Gothorum” (Vandalorum als Vand. abgekürzt), ebenso auf dem Sarkophag von Frederik IV.: „Frederici Quarti, Dan. Norveg. Vandalo. Gothorum regis..."

Selbst Wallenstein nannte sich „Princeps Wandalorum". Am Grabmal Boleslaw I. im Posener Dom benennt die lateinische Inschrift ("Regnum Sclavorum, Gothorum sive Polonorum") sein Königreich als ein solches der Sclavi, der Goten und Polen, womit die Polen neben den Sclaven, also den Wenden oder Vandalen, gesondert genannt werden.

Die Slawisten (Herder u. a.) sprechen davon, daß sie „längs der Ostsee von Lübeck an Seestädte erbaut hatten", nun stellt sich jedoch heraus, daß z. Bsp. Lübeck eine wendische, d. h. heidnische Stadt gewesen ist. Lateinische Quellen schreiben „urbs sclavica” oder in hanseatischen Karten „urbs vandalica". Betrachten wir andere norddeutsche Hansestädte, z.B. Hamburg, Wismar, Stettin, Danzig, so lautet vom 12. bis 16. Jh. ihr lateinischer Titel „urbs Vandalica et Hanseatica", also wandalische Niederlassungen der Hanse. Vineta (Veneta), heute Wollin, an der Odermündung, teilweise auch Jumneta, nach Saxo Grammaticus das „Byzanz des Nordens” genannt, war Handelsort und Hochburg der Sclavi, der ostelbischen Heiden und wurde daher auch immer wieder von den christianisierten Dänen aus Konkurrenz- und Glaubensgründen angegriffen, schließlich in Schutt und Asche gelegt. Nach Adam von Bremen war die Stadt von Sclavi und anderen Völkern bewohnt (Griechen u.a.), „hinzukommende Sachsen können gleichfalls Wohnrecht erhalten, wenn sie während ihres Aufenthaltes das Christentum nicht öffentlich bekennen". Obwohl die Sclavi alle noch „im Irrwahn heidnischen Götzendienstes” befangen sind, betonen Adam und Einhard: „Im übrigen aber dürfte man kein Volk finden, das in Bezug auf Sittlichkeit und Gastfreiheit ehrenwerter und gutherziger wäre...Jene Stadt ist angefüllt mit den Waren aller nordischen Völker und besitzt alles Angenehme und Seltene". Mit dem Bau des Domes und den neuen Stadtrechten wurde Lübeck eine christlich-deutsche Stadt im Gegensatz zur vorigen heidnisch-wendischen bzw. vandalischen. In plattdeutschen Chroniken heißt der Ort „lubeke", „liubeke", „luebeke” oder „lubeke", latinisiert(!) „Lubecca, Lubezza, Liubecca, Liubezza, Liubice". Erst ab Mitte des 19. Jh. versuchte die slawische Philologie krampfhaft Namen slawisch zu deuten und erzielte damit die unsinnigsten Ableitungen, noch später wurden zahlreiche Namen besonders östlich der Elbe in glagolitischer Art und Weise slawisiert bzw. polonisiert; würde in diesen Fällen der Name auf slawische Stammwörter zurückgeführt werden, kämen ähnlich unsinnige Deutungen heraus. Ebenso krampfhaft ist selbstverständlich die Suche nach Unterschieden im archäologischen Bereich, z. Bsp. bei Schädelformen, Jochbeingestaltung, Form und Dekor von Tongefäßen, Schwertern und Holzgeräten. So wird zu Hilfskonstruktionen gegriffen, beispielsweise hätten schon zur Zeit der Lausitzer Kultur unter einer germanischen Oberschicht „Slawen” gelebt. Mehr als lokale Unterschiede sind nicht feststellbar, geringfügige Unterschiede von Mensch zu Mensch werden gar zu Rasseunterschieden hochstilisiert. Der Wunsch mancher Wissenschaftler und Ideologen ist hier wohl Vater des Gedankens.

 

Missionierung

In den Briefen des Bonifatius findet sich der Satz „Etenim de Sclavis christianorum terram inhabitantibus", in deutscher Sprache: „Auch wegen der Sklaven, die auf dem Boden von Christen wohnen". Bonifatius stellt hier den Sklaven also nicht etwa andere Völker, Germanen oder Deutsche nach heutiger Meinung slawophiler Wissenschaftler, gegenüber, sondern Andersgläubige, eben Christen. Es handelt sich also nicht um germanisch-deutsche Kriegszüge gegen fremde Völker, sondern um Zwangsmissionierungsmaßnahmen bereits christianisierter Germanen, ab etwa dem 10. Jh. Deutsche genannt, gegen nicht bekehrte Germanen im Osten. Sclavi bezeichnet also die Heiden Ostgermaniens. Dieses geht auch aus dem Wort des Adalbert von Prag (956-997) „Sclavus eram” ("Ich war Heide") hervor; die Volkszugehörigkeit kann man wohl kaum wechseln, wohl aber die Glaubenszugehörigkeit. Deshalb kann Helmold von Bosau seine Chronik auch eine „Conversio", eine Bekehrung nennen, nicht aber einen Bericht über fremde Völker.

Unter Führung des Wikinger-Herzogs Dago wurde im Jahre 960 in dem zum Stammesverband der Sueven gehörigen von Semnonen und nachfolgend von Burgunden bewohnten Gebiet das Mesiko-Reich gegründet. Dago, nordisch Dagr (960-992), auch Dag genannt, entstammte dem Geschlecht der Daglinger vom Teilkönigreich Ringerike. Sein Beiname Mesico, verkürzt Mesko, erklärt sich daraus, daß er als „missi” (Abgeordneter) der Wikinger angesehen wurde. In lateinisch geschriebenen Texten erscheint er als „Miseco", „Misica", „Meszko” usw., die spätere glagolitische Namensform „Mieszco” oder „Mieczyslaw” erscheint in den alten Texten jedoch nicht. Im Zuge der normannischen Ausdehnung faßt Dago mit seinem Bruder Sidibur und seiner Schwester Athleit an der südlichen Ostseeküste zwischen Netze und Warthe in der Nähe des Goplo-Sees Fuß. Sein Reich reichte westlich der Weichselmündung bis zur Dievenow, die Oder aufwärts bis zur Bobermündung, an die Linie Bober, Queis, den Nordrand der Sudeten und Karpaten, über Wieslok zum Bug, von da bis zur Mündung des Bobr in den Narew und im Nordosten an das Land der Preußen. 960 wird sein Reich durch Markgraf Gero (gest. 965) unter deutsch-christliche Oberhoheit gezwungen und zum Herzogtum umgewandelt. Dago vermählt sich mit der germanischen Prinzessin Domberta, glagolitisch „Dobrawa", der Tochter Boleslaf von Böhmen (929-967), einem Lehensmann des Deutschen Kaisers Otto I. Wieder wie schon zur Zeit des Franken Chlodwig erreicht eine christianisierte Frau den Glaubenswandel: Dago wird Christ. Die Taufe findet im Jahr 966 statt, seine Volksstämme folgen seinem Beispiel. Die wikingischen Edlen des Mesiko-Reiches folgten ihrem Fürsten und vermählten sich mit ebenbürtigen Frauen vandalischen, herulischen, markomannischen und quadischen Herkommens. Keine Quelle der Zeit benennt Dago und die Menschen seines Reiches auch nur andeutungsweise als Volksfremde, obwohl Dago und seine Edlen doch oft am deutschen Hof erscheinen, der Begriff „Slawen” erscheint, besonders nach der vollzogenen Taufe, nicht. Schon bald wird Dago zum „Kreuzfahrer", der die ersten Feldzüge im Jahr 967 gegen die noch im Unglauben verharren wollenden germanischen Vandalen Pommerns beginnt. Seine Nachfolger senden deutsche Mönche (Adalbert von Prag, Bruno von Querfurt) zur Missionierung nach Preußen. Unter Dago vereinigt, kennt man nun alle Bewohner seines Staates als Feldanwohner, also Inlandbewohner, im Gegensatz zu den Meeresanwohnern (Pomeranen) an der Ostseeküste. Das spätlateinische Wort für diese Feldanwohner lautet „polani", abgeleitet von po=an, am, bei (verwandt mit dem skandinavischen Verhältniswort „paa") und lan=Ackerhufe, Feld, Land. Deshalb heißt es auch noch heute in der englischen Sprache „Poland” und nicht etwa Polen, glagolitisch wird daraus „Polska". Ähnlich verhält es sich mit den Bezeichnungen für andere „Stämme": Polaben, spätlateinisch polabi, benennt die an der Elbe Wohnenden, abgeleitet von po=an, am, bei und Albis=Elbe, durch Metathese in „labis” umgewandelt. Die glagolisierten Einwohner Böhmens und Mährens, die „Czechen", nennen bis heute die Elbe „Labe". Die Wislanen sind die an der mittleren Weichsel wohnenden ostgermanischen Heiden. Die Angelsachsen sprachen vom „ymb Wistlawudu", d.h., im Walde der Weichselanwohner, der Wislanen. Die Stodoraner sind die Gestadeanwohner, die Haveller und Zpreweani, die an Havel und Spree Wohnenden, die Circipanen, diejenigen, die rund um Peene wohnen. Volksstämme mit diesen Namen gibt es nicht, es handelt sich vielmehr um geographische Bezeichnungen als Einteilungshilfe für Händler- und Kreuzfahrerzüge.

Auffällig sind Namensähnlichkeiten: So lebten die Rugier, als Rygir aus Rogaland (Roggenland) in Norwegen stammend, auf Rügen. Ihre Nachfolger sind die Ranen oder Runer, die ihre Insel Ruja, Rugana oder Rana nannten. Die Ranen werden wie zuvor die Rugier als tüchtige Seeleute beschrieben (Helmold von Bosau), ihr Name weist auch auf ihre Vertrautheit mit den Runen, ebenso wie das ihnen anvertraute Hauptheiligtum Arkona (Svantevit). Ähnlichkeit besteht auch zwischen den germanischen Warnen mit den Orten Warnitz, Warnow und Warnemünde und dem „slavwischen” Stamm der Warnaber oder dem Vandalenstamm der Silingen mit ihrem heiligen Silingberg (Zobten) und dem Silingbach, dem Schlesien den Namen verdankt, und dem „slawischen” Stamm der Slenzanen/Slezanen.

968 wird das anfänglich noch dem Bistum Magdeburg zugeordnete Bistum Posen gegründet. Die ersten Bischöfe, Jordan (968-984) und Unger (984-1012), sind Deutsche. Die Bezeichnung lautet interessanterweise „Episcopus Posmaniensis” und nicht etwa „Episcopus Poloniae". Im Jahre 990 schenkt Dago sein Reich dem Papst, dafür erhält er das Herrschaftsgebiet ostwärts der Warthe als tributpflichtiges Lehen der Kirche zurück. Der Vatikan beauftragt daraufhin den Mönch Wolf Gottlobonus, d.h. Sohn des Gottlob, (1160-1223), der sich später glagolitisch Vinzenz Kadlubek nennt, mit Geschichtswerdung (Neubearbeitung von Urkunden usw.), Sagenwelt, Kultur und Sprachbildung des Glagolitenstaates Polen. Im Kloster Klein-Morimund bei Krakau wurde diese Aufgabe im Jahre 1218 gestaltet; nach jahrelanger Arbeit in Klausur war es vollbracht. Zum Dank wurde Gottlobonus zum Bischof Kadlubek geweiht. Für seine grundlegende Arbeit „Chronica Polonorum” benutzte der Mönch Kadlubek die Chronik des ersten Chronisten des Mesiko-Reiches. Dieser Chronist war der Hofkaplan Martinus Gallus oder Gallus Anonymus (1107-1138), der die Sage vom Popiel und den legendären Namen Pasth (daraus dann Piast) im Stammbaum des Mesko als Sohn von Chosiscos und Repcizas aufbrachte, dann Ziemowit, Leschko und Ziemoysl. Aus „Legenden” wurden später weitere 16 Namen (u.a. Leach, Visimir, Krakus) hinzugefügt. Auch Personen-, Orts-, Flur-und Flußnamen wurden glagolitisch ergänzt und umgewandelt. Prämonstratenser und Zisterzienser begannen zusammen mit den Bischöfen der Gnesener Erzkirche ihr unheilvolles Wirken. Dags Sohn, Boleslaf Chobry (992-1045) folgt seinem Vater als Regent im Jahre 1025. Chobry, ein späterer Beiname bedeutet „der Kühne", ebenso heißt der eigentliche Name auch schon der Kühne (bol/bold=kühn); die Verwirrung durch Sprachwechsel zum Glagolitischen wird erkennbar. Er vermählt sich mit der Tochter Thyre von Harald Blauzahn (940-985), von der er sich später wieder trennt. Im Dom zu Posen steht sein bereits erwähntes Denkmal (12. Jh.), das ihn als deutschen Ritter darstellt, mit der Inschrift: „Regnum Sclavorum, Gothorum sive Polonorum". Die verwandtschaftlichen Beziehungen der Dago-Nachfolger zum deutschen Adel blieben immer eng, allein dies zeigt schon, daß keine Unterschiede zwischen Deutschen und „Slawen", wenn man von der länger bewahrten heidnischen Religion und der später aufgezwungenen Kunstsprache einmal absieht, bestanden haben. Von 10 schlesischen „Piasten” der Breslauer Linie waren 9 mit Töchtern von Reichsfürsten verheiratet, im Laufe der Generationen finden sich die deutsch-germanischen Vornamen Adelheid, Agnes, Astrid, Domberta, Eminild, Gertrud, Gisela, Gunhild, Geira, Thyre, Dietrich, Heinrich, Konrad, Luitgard, Mesiko, Swentibold u. a. Selbst unter König Jagel (Jagiello), 1386-1434, ist die glagolitische polnische Kunstsprache weder amtlich noch in der Literatur weit verbreitet, erst ab dem 15. Jh. wurde die Sprache dem Volk aufgezwungen. Der polnische Geschichtsforscher Prof. Markiewicz sagte dazu 1980 in Mainz: „Das Geschichtsbewußtsein des polnischen Volkes ist nicht geprägt von Historikern und Geschichtswissenschaftlern, sondern von seinen großen Dichtern und Schriftstellern Adam Mickiewicz und Henryk Sienkiewicz". Diese aber riefen zum Kampf gegen die Stämme des Nordens auf. Wie kann der Wahnsinn stärker auf die Spitze getrieben werden, als wenn Menschen eines Volkes gegeneinander aufgestachelt werden! Selbst Kadlubek sprach nicht von „Slawen", sondern davon, daß die alten „Polen” Nachkommen der Goten und Vandalen seien, ebenso Duglosz (Johann Flachsbinder), die Annalen des Priesters Dukla, Thomas von Spalato und der czechische Forscher Lubor Niederle (1865-1904), der erkannte, daß die von Goten und Vandalen besiedelten Gebiete in den Chroniken und mittelalterlichen Texten immer als Land der Sklaven, d.h., der Heiden, erscheinen (Handbuch des slawischen Altertums). Letzterer zieht daraus die Folgerung, daß die panslawistischen Ansprüche die Gebiete der Vandalen und Goten umfassen müßten. Es kann jedoch in Zukunft nicht um künstliche Unterschiede und einseitige Machtansprüche gehen, sondern nur um die uralten Gemeinsamkeiten germanischer, wendischer und keltischer Stämme.

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Schrifttum

Primärquellen:

Sekundärwerke:


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Weltnetzzeitschrift „Der Lotse”